Ein Nachruf auf Dich

LESEPROBE / EITERER / DIE REGISTER DES ORGELSPIELERS

21/04/15 „Die Register des Ortgelspielers“ heißt jene Denkschrift, die der Salzburger Schriftsteller Othmar Eiterer 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg für seinen 1971 verstorbenen Vater, eine markante Persönlichkeit in Thalgau verfasst hat. – Als Leseprobe ein Abschnitt aus dem Prolog.

Von Othmar Eiterer

Womit anfangen? Die erste Station des Kreuzweges, den ein Schriftsteller – zumindest einer wie ich – gehen muss, wenn er sich vor unbeschriebenen Seiten quält. Zehn Jahre nach dem „Requiem für Anton P.“, meinem ersten Gehversuch auf dem literarischen Parkett – ein Postskriptum auf meine Kindheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Unvermeidlich Deine Rolle, die ich Dir in meinen Erinnerungen zugedacht habe. Heute, vierzig Jahre nach Deinem Tod, wage ich den Versuch, einen Nachruf zu schreiben – einen Nachruf auf Dich. Ein Unterfangen, das Du zu Deinen Lebzeiten abgelehnt hättest. ...

Nichts lag Dir ferner, als über Dein Tun zu reden, geschweige denn sich einen Altar zu errichten oder errichten zu lassen. ... Es gehörte zu Deiner Vorstellung von Würde, Dich nicht vor Dir selbst zu verstecken, und auch nicht vor der Welt, die in Deinem Fall doch klein und bescheiden war. Von den Niederlagen, die Du im Lauf Deines Daseins einstecken musstest, waren die Monate in der Zelle des Nazigefängnisses die einschneidendsten, weil Du Dich Deiner Handlungsfähigkeit beraubt sahst. Die Ohnmacht, es nicht mehr in der Hand zu haben, setzte Dir mehr zu als der Hunger und die wiederkehrenden Schläge der Bewacher. Die Macht, die letztlich doch noch die Tore des Gefängnisses öffnete, trug amerikanische Uniform.

Heimkehren – davon hattest Du in den schmerzhaften Wochen zuvor kaum noch zu träumen gewagt. Im Windschatten der amerikanischen Panzer nahm das Dorf Deine Rückkehr ebenso wenig wahr wie seinerzeit Deine Verhaftung. Trotzdem warst Du Dir der Tatsache bewusst, dass sich Deine Wege mit denen der Menschen im Dorf wieder kreuzen würden – auch mit jenen, die Dich an die Gestapo verraten hatten. In dem Umfeld, dessen Teil Du warst, hatte sich in der Zeit Deiner Abwesenheit manches verändert, manches war geblieben – eine kurze Ewigkeit, auch wenn sie in Monaten, Wochen und Tagen zu messen war, und mittendrin Du, dem diese winzige Zeitlosigkeit widerfuhr. Dein Leben danach würdest Du keinesfalls im Lehnstuhl oder im Lamento verbringen. Das Gefängnis war für Dich eine vorübergehende Episode, nebensächlich, flüchtig. Kein Grund, um im Selbstmitleid vor Dich hin zu altern. Sind wir nicht alle mehr oder weniger Gefangene, sagtest Du einmal, und nur diejenigen, die es begriffen haben, sind die Freiheit hinter den Gitterstäben wert. Du hattest die Zähigkeit, die Ungerechtigkeit, die Mitleidlosigkeit und all den Ekel zu überleben, ohne Dich in Rachegedanken zu verbeißen. ...

Du tauchtest ein in die Gegenwart des Mai 1945, in das seltsam deformierte Dorf, das Du zu Weihnachten 1944, eskortiert von zwei Gestapobeamten, hattest verlassen müssen. Zwar hattest Du zu keiner Zeit an die tausend Jahre geglaubt, aber ebenso wenig, dass Du Dein Dorf und Deine Familie jemals wiedersehen würdest.

Unmittelbar an der Ortsgrenze schließlich der innere Aufruhr – von einer Intensität, die Du auch nach Jahren nicht bestimmen konntest. Du meintest, Dich nicht mehr zurechtzufinden, obwohl Dir das Dorf so vertraut war.

In Deinen Vorausgedanken glaubtest Du schon das abgegriffene Vokabular zu hören, mit dem man die Wunden leckte, mit dem man lauthals die Veränderung für sich reklamierte. Eine Herde von Irregeleiteten, von haltsuchenden Analphabeten, von Widerständlern der letzten Minute.

In den Zwanzigern nach dem verlorenen Krieg die selben Mechanismen wie drei Jahrzehnte später, wenn auch unter ganz anderen Umständen. Die Zukunft schien absehbar – ob amerikanisch oder österreichisch, das blieb den Räubergeschichten an den Biertischen vorbehalten.

Othmar Eiterer: Die Register des Orgelspielers. Verlag Dominik Guggenberger, Oberndorf 2015. 17,50 Euro

Buchpräsentation heute Dienstag (21.4.) um 19 Uhr in der Oedmühle (zwischen Mondsee und Zell am Moos) – www.mundwerk.at