Die Kunst und ihr Prinzip

LESEPROBE / MITTERMAYER / THOMAS BERNHARD. EINE BIOGRAFIE

20/10/15 Polarisierender Skandalautor, Klassiker der Weltliteratur, weltberühmter Dramatiker, österreichisches Phänomen: All das und noch viel mehr war Thomas Bernhard. Der Thomas Bernhard-Experte Manfred Mittermayer fasst Leben und Werk des Autors in eine große Erzählung vom „Herkunftskomplex“ bis zum frühen Tod. – Hier eine Leseprobe.

Von Manfred Mittermayer

Thomas Bernhards Stück Der Ignorant und der Wahnsinnige ist deutlich auf den Kontext der Salzburger Festspiele zugeschnitten. Die Uraufführung dieses Stücks am 29. Juli 1972 mündet jedoch in einen der größten Skandale, die Bernhard im Verlauf seiner literarischen Laufbahn ausgelöst hat. Für die Salzburger Öffentlichkeit reichlich provokant ist von Anfang an das Auftreten des Regisseurs Claus Peymann. Bezeichnender weise hält es Bernhard bereits Monate vor Probenbeginn für geraten, seine Salzburger, die er wohl kennt, auf die Persönlichkeit des von ihm gewünschten Regisseurs ein wenig vorzubereiten. Er versichert dem Festspielpräsidenten Josef Kaut im Herbst 1971, dass es sich bei Peymann »um einen jungen, ganz und gar ausgezeichneten Mann handelt«; wenn »sein Auftreten vielleicht auch für Salzburger Verhältnisse verblüffend« sein könne, so denke Bernhard doch, dass es eine »erfrischende Wirkung tun« werde. Doch als Peymann die Festspiele in einem Interview eine »ganz schicke Scheiße« nennt und durch exquisite Requisitenwünsche (echten Champagner auch bei den Proben etc.) unangenehm auffällt, empfinden ihn Mit­arbeiter und Öffentlichkeit als »für Salzburger Verhältnisse« vielleicht doch etwas zu »erfrischend«.

Als Peymann dann noch fordert, am Ende der Aufführung habe stets, um die vom Autor vorgeschriebene absolute Finsternis zu gewährleisten, für zwei Minuten auch das Notlicht im Zuschauerraum abgeschaltet zu werden, kommt es zur Konfrontation. Während dieser zwei Minuten soll auf der Bühne ein Tischtuch hochgezogen und die darauf befindlichen Teller,Gläser und Flaschen geräuschvoll zerschlagen werden – um die abschließende totale Zerstörung zu symbolisieren. Wenn dabei die Notbeleuchtung brennt, verliert der Vorgang, sobald sich die Augen des Publikums an die Verdunkelung gewöhnen, seine Wirkung. Doch die Feuerpolizei verbietet aufgrund der Gesetzeslage das Abschalten des Notlichts.

Auf der Generalprobe lässt der Festspielpräsident dennoch die Notlichter auf seine Verantwortung löschen. Bei der Premiere bleibt die Notbeleuchtung hingegen trotz aller Vereinbarungen eingeschaltet. Peymann versucht, den Hauptschalter umzulegen, findet den Kasten jedoch abgesperrt. Der Effekt einer in absoluter Finsternis nur akustisch angedeuteten Katastrophe auf der Bühne verpufft im Halbdunkel. Am Abend der zweiten Vorstellung gibt es den erwartbaren Eklat. Regisseur und Schauspieler, die sich genarrt fühlen, weigern sich zu spielen, wenn die Forderung nicht erfüllt werde. Thomas Bernhard schlägt vor, den Schluss überhaupt wegzulassen, doch er kommt zu spät. Das Publikum ist in der Zwischenzeit nachHause geschickt worden.

In mehreren Telegrammen versucht Bernhard, den Festspielpräsidenten umzustimmen. Am 1. August 1972 telegraphiert er an Josef Kaut: »ich hoffe sie stehen ganz auf der seitedes höchsten anspruchs des ernstes und der kunst und nicht auf der seite der lokalen dummheit gemeinheit und niederträchtigkeit«. Einen Tag später folgt die später viel zitierte Erklärung: »eine gesellschaft die zwei minuten finsternis nicht verträgt kommt ohne mein schauspiel aus«. In einem dritten, 301 Wörter umfassenden Telegramm folgt ein weiterer Kernsatz des Bernhard’schen Kunstverständnisses: »hier geht es um die strenge und um die unbestechlichkeit einer nervenanspannenden kunst und um ihr prinzip und nicht um die gemeinheit eines unappetitlichen tagesfeuilletonismus«.

Bernhard bezieht sich in seinem ebenfalls bei den Festspielen uraufgeführten Stück Der Theatermacher (1985) nochmals ironisch auf die mehr als ein Jahrzehnt zurückliegenden Vorkommnisse. Darin beschäftigt den Staatsschauspieler Bruscon bei der Vorbereitung auf das geplante Gastspiel seiner Menschheitskomödie »Das Rad der Geschichte« in dem Dorf Utzbach die Frage, ob er wohl die Genehmigung erhalten werde, sein Drama in totaler Finsternis enden zu lassen. Als ihm der örtliche Feuerwehrhauptmann jedoch ohne Zögern erlaubt, das Notlicht abzuschalten, kann er sich darüber gar nicht wirklich freuen: »Um die Spannung gebracht letztenendes / Kein Notlichtverbot mehr«.

Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages
Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Eine Biografie. Residenz Verlag Wien/Salzburg 2015. 452 Seiten. 28.- Euro – www.residenzverlag.at
Bild: dpk-klaba
Manfred Mittermayer stellt seine Bernhard-Biografie heute Mittwoch (21.10.) um 19.30 in der Fachbibliothek UNIPARK in Salzburg vor. Anschließend diskutieren die Fernsehjournalistin Krista Fleischmann, der langjährige Lektor und Verleger Jochen Jung und Manfred Mittermayer unter der Leitung von Martin Huber über den Dichter. Veranstalter sin das Literaturforum Leselampe, der Residenz Verlag, die Universitätsbibliothek und der Fachbereich Germanistik Salzburg. - Es folgen weitere Buchpräsentationen in Graz, Lind und Wien – www.residenzverlag.at

 

Zur DrehPunktKultur-Besprechung … ohne Übertreibung kann man gar nichts sagen