Die Vermessung des Glücks

LITERATURFEST / LESEPROBE / WEIDENHOLZER

17/05/17 „Anna Weidenholzer hat eine ganz eigene Stimme und einen ganz eigenen Blick auf die Welt. Einen stillen Blick, aber intensiv und forschend, fast ethnologisch. Ein Blick auf die Menschen, besonders auf ihre unfreiwillig komischen Seiten“, sagte Sigrid Löffler auf Deutschlandradio Kultur. Beim Literaturfest ist diese Stimme live zu erleben: Anna Weidenholzer liest aus „Warum die Herren Seesterne tragen“. – Hier eine Leseprobe.

Von Anna Weidenholzer

Hätten Sie ein Zimmer frei?, fragt Karl im Hotel Post, die Gaststube ist leer. Die Gäste werden wohl erst abends kommen, überlegt er und streichelt den Hund, der hinter der Bar hervorgekommen ist. Ein unfassbar dicker Hund, denkt er, er sagt: Schön ist der.
‚Die, antwortet die Wirtin, das ist unsere Annemarie. Warum Annemarie ? Eine Gästin hat sie hier gelassen, sie hieß Annemarie, also haben wir den Hund nach ihr benannt. Wie man einen Hund vergessen kann, möchte Karl fragen, aber die Wirtin ist schneller: Wie lange bleiben Sie? Ich weiß es nicht, zwei Wochen bestimmt, vielleicht auch drei. Zwei Wochen?, die Wirtin sieht ihn lange an. Zu lange, denkt Karl, das ist ein unangemessener Blick. Wie kann man, beginnt er, aber die Wirtin kommt ihm wieder zuvor: Wenn Sie möchten, Sie können gern so lange bleiben, vielleicht wird es besser als voriges Jahr, vielleicht schneit es bald. Dass er das nicht hoffe, sagt Karl und die Wirtin runzelt die Stirn. Möchten Sie das Zimmer sehen, es ist gleich im ersten Stock.
Das ist eine schnelle Frau, denkt Karl und nickt.

Solche Fliesen hatten wir in unserer alten Wohnung auch, sagt er, als er hinter der Wirtin in den Vorraum tritt: Wenn ich wir sage, meine ich meine Frau Margit und mich. Dienstag Wirtin schaut auf den Boden, sie fragt nicht, wo Margit ist: Die Fliesen hat mein Vater verlegt, sie halten länger als ein Leben, das ist ein Boden für die Ewigkeit. Karl möchte auf eine besonders schön gemusterte Fliese hinweisen, aber da hat die Wirtin bereits nach der Türklinke gegriffen. Zimmer Nummer drei, das wäre Ihres.

Dass kein Zimmer im Hotel Post bewohnt war, dass die Wirtin wegen ihm einheizen musste und ihm in der Hoffnung, er möge es sich anders überlegen, das schlechteste Zimmer zeigte, davon weiß Karl zu diesem Zeitpunkt nichts. Ein Bett, ein Schrank, ein Bad, alles da, sagt er, als sie im kalten Zimmer stehen und die Wirtin die Vorhänge aufzieht, um besser an die Heizung dahinter zu kommen. Karl bedankt sich und stellt die Tasche ab.
Zur Reinigung, sagt die Wirtin, das erledige ich, wenn Sie dieses Schild an die Tür hängen, mit der Aufschrift nach vorn, so. Sie brauchen nicht zu putzen, antwortet Karl, ich mache das gern. Die Wirtin sieht ihn wieder ein bisschen zu lange an: Dann geben Sie Bescheid, wenn Sie den Staubsauger benötigen, einen Putzfetzen lasse ich hier, den Fernseher finden Sie im Schrank. Das ist gut zu wissen, daran hätte ich nicht gedacht.

Karl folgt der Wirtin zurück in die Gaststube, wo Annemarie in der Ecke liegt und kurz den Kopf hebt. Hier ist Ihr Schlüssel, sagt die Wirtin, bringen Sie das ausgefüllte Gästeblatt zum Frühstück mit, Frühstück ist von acht bis zehn. Wenn keine anderen Gäste hier sind, lassen Sie mich am Vortag wissen, wann Sie aufstehen, damit ich das Frühstück rechtzeitig bereiten kann.
Ob sie auch hier wohnt, möchte Karl fragen, aber die Wirtin wendet sich dem Telefon zu, das in diesem Moment läutet. Was rechtzeitig bedeutet, möchte er fragen, und ob er auch ein Abendessen bekommt. Karl lächelt und winkt, als er den Raum verlässt, entschlossen, morgen zu fragen.

Wieder auf dem Zimmer geht er vom Vorraum in den Hauptraum, ins Bad und zurück, er hört Margit sagen: Hier ist wenig Platz. Braune Fliesen und blaue Handtücher, denkt er, als er die Handtücher ins Bad trägt, wenn ich ihr davon erzähle, wird sie lachen. Er hebt den Koffer auf die Ablage, die Wand dahinter ist schmutzig.
Karl schaltet den Fernseher ein, das Bild kommt mit einem Surren, auf dem ersten Programm ist eine Kochsendung zu sehen. Und ich habe gehört, du hast das Originalrezept und das hätte ich gern. Ja, das habe ich, das habe ich schon vorbereitet. Vorsichtig öffnet er den Schrank, er legt seine Kleidung hinein. Die Dinge, die er im Bad benötigen wird, trägt er hinüber, die Zahnbürste steckt er in das dafür vorgesehene Glas, seinen Pyjama legt er unter das Kopfkissen, den Koffer verstaut er ganz unten im Schrank. Wichtig ist, dass man sich auch an neuen Orten schnell einrichtet. Karl hat seine liebste Schlafkleidung mitgebracht, ein altes Nachthemd von Margit mit einem gähnenden Löwen darauf. Es ist groß geschnitten und Karl mag die Beinfreiheit beim Schlafen. Das sagte er auch, als Margit ihn zum ersten Mal darin sah und mit einem müden Blick fragte: Karl, was machst du da?

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Matthes & Seitz

Anna Weidenholzer: Warum die Herren Seesterne tragen. Roman. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 192 Seiten, 20,60 Euro - www.matthes-seitz-berlin.de
Bild: Falk Nordmann
Anna Weidenholzer liest am Donnerstag (18.5.) um 12.30 beim 10. Literaturfest Salzburg im upcycling ateliler Haydnstraße 4 aus „Warum die Herren Seesterne trage“ – zusammen mit Elfriede Kern, die aus ihrem Roman „Das Nesselhemd“, einem „bösen Märchen“, lesen wird - www.literaturfest-salzburg.at