Amoralisches Kater-Philosophicum

RAURISER LITERATURTAGE / KÖHLMEIER

01/04/22 „Die höchste Form des Daseins ist es, sich in eine andere Spezies hineinzuversetzen.“ Michael Köhlmeier spricht über seinen neuen Roman Matou. Er lehrt uns die Menschheit aus einer ganz neuen Perspektive sehen, denn Matou ist ein Kater. Und Vertreter der Spezies Felidae haben bekanntlich sieben Leben.

Von Elisabeth Erlacher und Carmen Schmidberger 

Diese sieben Leben nutzt Matou voll aus, um die Spezies Mensch kennenzulernen. Er führt den Leser über das Leben von historischen Persönlichkeiten bis hinunter in die Abgründe der Menschheitsgeschichte. Besonders ikonisch ist sein Leben als E.T.A. Hoffmanns Hauskater. Das macht ihn rückwirkend zur Inspiration für den Roman Lebensansichten des Katers Murr. - Möchte jedenfalls Köhlmeier seiner Leserschaft weiß machen. In seinem Roman finden sich zahlreiche beeindruckende intertextuelle Bezüge, was zu Bildungsroman und Verständnis-Eentwicklung des Katers hervorragend passt. Lesen ist, laut Autor, schließlich eine der wichtigsten Kulturleistungen und eine Schulung der Menschlichkeit. Da weiß er einiges zu philosophieren. Die größte Gabe der Menschen sieht er nicht in einer angeblichen biologischen Überlegenheit, sondern in der Möglichkeit des Konjunktivs.

„Den Konjunktiv“, so Köhlmeier, „halte ich für die genialste Erfindung.“ Sich also etwas vorzustellen, dass so noch nicht existiert – über diese sprachlichen Mittel verfügt in dem Roman auch der sprechende, lesende und schreibende Kater. Obwohl sich der Autor als „schreibend klüger als nachher“ bezeichnet, liegt in der Hauptfigur eine Menge Tiefe, auf die im Interview mit dem Autor weiter eingegangen wird.

Michael Köhlmeier ist nicht nur ein begnadeter Erzähler, sondern auch ein mitreißender Redner. Im Mesnerhaus liegen ihm gut hundert Personen zu Füßen, während er die Fragen der Wiener Studierenden mit ausführlichen Anekdoten, gekonntem Witz und großer philosophischer Tiefe beantwortet. Die Kolleginnen und Kollegen zeigen sich in Moderation und Fragestellung professionell und stellen ihre gute Vorbereitung zur Schau, die selbst den Autor in Verlegenheit zu bringen vermag. Denn die Bücher, die er in Matou (fast schon im Übermaß) in Leselisten aufzählt, stünden zwar bei ihm zuhause in Bücherregalen, gelesen habe er sie aber nicht alle „von Anfang bis zum Schluss“. Ein Lachen geht durch den Saal – mindestens so oft wie die tiefe Faszination über den Einblick in das beeindruckende Werk.

Mit seiner charmanten Ehrlichkeit berichtet er, warum Amoralisches den Menschen in seinen Augen fasziniert und warum er sich dazu entschieden hat, die hier referierte Weltgeschichte moralisch in die Hände eines Katers zu legen. Seit seinem Debutroman (Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf) und der Auszeichnung mit dem Rauriser Literaturpreis 1983 hat der Schriftsteller es weitgebracht. Vor allem aber hat er in seinem neusten Roman knapp sechshundert Seiten mehr geschrieben. Was daran seinen Kritikern nicht passt, ironisiert er und das Interview der Studierenden endet mit viel Applaus.

Die Rauriser Literaturtage dauern noch bis Sonntag (3.4.)  www.rauriser-literaturtage.at
Für DrehPunktKultur berichten Studentinnen und Studenten von Dr. Uta Degner im Rahmen der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2022)“ am Fachbereich Germanistik von den Rauriser Literaturtagen
Bilder: www.rauriser-literaturtage.at / David Sailer / www.davidsailer.com
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