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Ist es ein Familienroman?

LITERATURHAUS / LESUNG REITZER

26/01/11 Ist es ein Gesellschaftsroman? Vom Loft über verschiedene Wohngemeinschaften in den Keller von Freunden: Vom Verschwinden einer nicht mehr ganz jungen Frau schreibt Angelika Reitzer in ihrem neuen Roman „unter uns“. Am Dienstag (25.1.) war Angelika Reitzer zu Gast im Literaturhaus.

Von Harald Gschwandtner

„Wer sagt Ihnen denn, dass es in zwanzig Jahren nicht heißt: Wahnsinn, Clemens Setz, Angelika Reitzer, Sebastian Schinnerl, unglaublich, was die damals gemacht haben!“ Das sagte Günther Eisenhuber, der neue Programmleiter für Literatur im Residenz Verlag, jüngst in einem Interview. Am Dienstag (25.1.) hat der Lektor Günter Eisenhuber „seine“ Autorin Angelika Reitzer und ihren zweiten Roman „unter uns“ vorgestellt.

Von „prekären Existenzen im Prekariat“ berichte Angelika Reitzer - das hatte Daniela Strigl in ihrer Rezension im „Falter“ bemerkt. Und tatsächlich befindet sich Clarissa, jene Figur, die in diesem multiperspektivischen Roman im Zentrum zu stehen scheint, in der Situation einer Generation, die den endgültigen Sprung in ein geregeltes und stabiles Berufsleben nicht geschafft hat.

So präsentiert sich der Text auch als Milieustudie eines schwer greifbaren ‚Standes‘, der auch für den 2008 bei Haymon erschienen Erzählband „Frauen in Vasen“ als Sujet diente: Gebildet, jung, von vorhandener, aber auch nach und nach schwindender Dynamik und Motivation geprägt, ohne finanzielle Absicherung und bar jeder festen Perspektive für die mittelfristige oder auch nur nähere Zukunft. Sie sind auf der Suche – wie es zu Beginn von „Frauen in Vasen“ heißt – nach „irgendwem, der mich für irgendein Projekt als Assistentin haben will/vielleicht auch nicht“. Existenzen also, die den traditionellen Weg des sozialen wie pekuniären Aufstiegs gerade in entgegengesetzter Richtung beschreiten. Dabei vollzieht Clarissa die Phasen des sozialen Abstiegs, des „Verschwindens“ (Reitzer), gerade auch im kleinteilig Topographischen: vom Loft über verschiedene Wohngemeinschaften in den Keller von Freunden.

„Familie“ als Idee verspräche in dieser Konstellation die Möglichkeit von Geborgenheit und (emotionaler) Sicherheit. Doch schon am Beginn des Romans steht ein Familienfest, das eigentlich Abschied und das Ende der familiären Bindungen darstellt. Heuchelei und emotionale Distanz prägen diese Szenen, die mit ihrer hintergründigen und düsteren Situationskomik ebenso überzeugen, wie mit der Beobachtungsgabe für das Detail. Auf dem folgenden Familienausflug zu Schiff beginnt sich zwar der Himmel zu verdunkeln und Regen setzt ein. Aber die große Katastrophe, die in der Literaturgeschichte gerne mit meteorologischen Veränderungen korrespondiert, bleibt aus: Es sind bloß Katastrophen im Kleinen, im Unscheinbaren und Privaten, die doch große Wirkung zeigen.

Als Identifikationsangebot fungieren dabei, im Gegensatz zu Clarisse im Musil’schen „Mann ohne Eigenschaften“, nicht die Schriften Nietzsches, sondern Zeitungsberichte über Angestelltensuizide. Dennoch wollte Reitzer auf Nachfrage keinen „Deprimismus“ in ihrem Werk erkennen, fand dafür vielmehr die nur scheinbar widersprüchliche Wendung vom „resignativen Optimismus“.

Ob das nun ein Familienroman sei, fragt sich der Roman zwischenzeitlich selbst. Nicht im klassischen Sinne, könnte man antworten. Nicht der Verfall einer Familie steht hier im Fokus der Darstellung. Vielmehr erzählt Reitzer von verschiedenen Individuen, die sich im Spannungsfeld von familiärer Bindung, dem Drang nach Individualität und der Unsicherheit ihrer materiellen wie psychischen Lebensgrundlage befinden. Und sie erzählt von einer Protagonistin, die den Vorgaben dieses Feldes zuletzt weniger gut entsprechen kann, als andere.

Als Clarissa gegen Ende des Romans (und in der letzten Episode, die die Autorin an diesem Abend las) zum Haus ihrer Eltern wie ihrer Kindheit zurückkehrt, ist dieses verwahrlost. Der Vater war nur wenige Monate nach dem Fest gestorben, der Besuch bei der alten Dame kann keinen Halt im Familiären mehr bieten. Das Ende des Romans enthielt die Autorin den Zuhörern vor – und so soll es auch hier geschehen.

Bild: LH/Lukas Beck

 

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