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Archäologie der Beatles

LITERATURFORUM LESELAMPE / LESUNG ZANDER

23/02/11 Wo in österreichischen Romanen von der durch die Bergwelt bedingten Enge die Rede ist, die das freie und offene Denken behindere, hilft in Vorpommern auch das flache Land nicht weiter: Auch hier fungiert die Großstadt (etwa Hamburg) als potentieller, aber doch weitgehend unbekannter Sehnsuchtsort.

Von Harald Gschwandtner

Begeistert war Judith Zanders Debütroman „Dinge, die wir heute sagten“ im Feuilleton aufgenommen worden. Popkulturelle Versatzstücke und ein Panorama von Innensichten eines Dorfes ergeben darin eine überraschende Mischung. Am Dienstag (22.2.) eröffnete das Literaturforum Leselampe mit einer Lesung der Autorin die Reihe „Familienmuster/Kindheitswelten“.

Die Geschichte einer Tochter zu erzählen, die nach dem Tod ihrer Mutter in das Dorf ihrer Jugend zurückkehrt, um dort unter anderem ‚Erinnerungsarbeit‘ zu leisten und die ländliche Sozialstruktur seltsam unverändert vorzufinden, ist nun nicht eben innovativ. Das Sujet hat literarisch wie cineastisch eine lange Tradition, in die sich einzuschreiben mitnichten eine leichte Aufgabe ist.

Doch gerade das schafft Judith Zander mit ihrem Debütroman, der es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hatte, in überzeugender Weise. Was macht diesen Text so besonders? Es sind zum Beispiel die Beatles, die übersetzt wie im Original durch den Roman geistern und eine zentrale Kommentarfunktion für das erzählte Geschehen abgeben – schon der Romantitel ist ja die Übersetzung eines Songtitels („Things We Said Today“).

Überhaupt ist Zanders fulminantes Debüt intertextuell dicht verwoben: So findet der Leser bereits auf den ersten Seiten zwei kurze Passagen aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Und zwar just jene, die auch T.S. Eliot in sein großes Poem „The Waste Land“ montiert hatte.

Was diese philologischen Spielerei andeuten sollte: „Dinge, die wir heute sagten“ ist alles andere, als eine konservative Dorfgeschichte, die sich in Landschaftsschilderungen ergeht und – wie die Autorin selbst kritisch anfügte – ein Einschreiben ebendieser Landschaft in die Protagonisten des Romans propagiert. Die Sache in Bresekow, einem fiktiven Ort in Vorpommern, ist viel komplizierter: Sie zeigt für die österreichische Leserschaft gerade auch die faszinierenden Ähnlichkeiten wie Unterschiede zwischen ostdeutscher und alpiner „Provinz“ und „Provinzliteratur“.

Wo in österreichischen Romanen mitunter von der durch die Bergwelt bedingten Enge die Rede ist, die das freie und offene Denken behindere, hilft in Vorpommern auch das flache Land nicht weiter. Auch hier fungiert die Großstadt (etwa Hamburg) als potentieller, aber doch weitgehend unbekannter Sehnsuchtsort. Dabei sind es zwar ähnliche Generationenkonflikte und Auf- und Ausbruchsphantasien, die gerade die jungen Figuren umtreiben, wie es auch hierzulande im Genre des „Provinzromans“ der Fall ist. Etwas jedoch fehlt ganz zentral: die beständige Rückbindung an eine Vorstellung von „Heimat“ oder „Tradition“, die den ehemaligen DDR-Bürgern weitgehend fremd ist.

Sie wollte, so die Autorin im Anschluss an die Lesung, eine Gegend vorstellen, in der sie selbst aufgewachsen und die in der Literatur deutlich unterrepräsentiert sei. So lässt Zander Figuren im wahrsten Sinne des Wortes zur Sprache kommen, die sonsten nur selten eine literarische Stimme haben.

Was den Roman erzähltechnisch so spannend und ungewöhnlich macht, ist der beständige Wechsel der Erzählperspektive: Keine allwissende und interpretierende Stimme führt durch den Text oder stellt die Figuren in Relation zueinander. Nein, es sind die Protagonistinnen selbst (es handelt sich vor allem um Frauen), die sich und ihre Sichtweise auf die dörflichen Strukturen präsentieren. Die Bandbreite reicht von einem verspäteten Monolog einer alten Frau (Maria) an eine kürzlich verstorbene frühere Freundin bis zu zornigen Eruptionen jugendlichen Ausbruchswillens ihrer Enkelin: „Und dann einfach weg, bye bye, Mutti und Vati, bye bye, Bresekower Kacknest. Bye bye, ihr … ihr ganzen … Arschlöcher, Wichser, ihr, na ja.“

So stellt der Roman in seinen multiperspektivischen Rück- und Seitenblicken auch ein Panoptikum der sozialen Entwicklung eines Dorfes im vergangenen Jahrhundert dar. Freundschaft und Familie erscheinen hier als die zentralen Pole, an denen sich die Bewohner im Finden ihres Platzes im Sozialgefüge ausrichten. Dabei ist der Roman eben immer eng verknüpft und verwoben mit dem Œuvre der Beatles. So denkt Romy bei Liebeskummer an „Yesterday“, ein anders mal an „Let It Be“. In Paul, einem jungen Iren, der in das Dorf kommt und auf die beiden Schülerinnen Romy und Ella großen Eindruck macht, finden die beiden die Projektionsfläche für ihre in der Provinz verkümmernden Wünsche.

Bild: Literaturhaus/Heike Bogenberger

 

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