Grenzposten zur Ewigkeit

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28/05/15 „Über Grenzen“ ist das Motto des Literaturfests. Ein unerschöpfliches Thema. Wenn eine Gerichtsmedizinerin und Pathologin und ein Theologe und Mönch von den „Grenzen des Lebens“ und „Letzten Dingen“ sprechen, verstummt das Geplänkel. Im Gespräch: Erzabt Korbinian Birnbacher, Gerichtsmedizinerin Edith Tusch-Bauer und Autor Karl-Markus Gauß.

Die bleibende Grenze

Von Korbinian Birnbacher OSB

Es gibt Grenzen, die entgrenzen sich und lösen sich faktisch auf. Dann gibt es aber auch Grenzen, die immer eine Herausforderung bleiben. Der Tod ist und bleibt die klarste und eindeutigste Grenze unseres Lebens, die Herausforderung schlechthin. Er trennt uns vom irdischen Leben. Da sind wir uns alle einig ... die Glaubenden und diejenigen, die nicht glauben können oder glauben wollen.

Aber der Tod trennt nicht nur, er verbindet auch, nämlich die Überzeugten und die Zweifler. Die Glaubenden hoffen, dass das, was ihnen ihr Glaube sagt, auch tatsächlich zutrifft und eintrifft. Wie es aber tatsächlich sein wird, das weiß auch der Glaubende nicht. Nicht besser geht es dem Nicht-Glaubenden. Auch er kann seinerseits nicht mehr sagen, als dass nach seiner Meinung nach dem Tod „nichts“ ist. Ob es das wohl trifft? Ich zumindest bezweifle es!

Nur ein Beispiel: Ich hatte dieser Tage die Gelegenheit, in Berlin den Dorotheenstädter Friedhof zu besuchen. Gleich daneben befindet sich die Katholische Akademie, wo ich an einer Veranstaltung über Gottsucher und Atheisten teilnahm. Auf diesem Friedhof liegen sie alle begraben: Fichte und Hegel, Schinkel und Schadow, Eisler und Brecht, Johannes Rau und Heiner Müller, George Tabori und Christa Wolf, Herbert Marcuse und Bernhard Minetti, Bärbel Bohley und Lothar Bisky, um nur einige zu nennen. Was immer ihr Glaube und ihre Überzeugung war: Der Tod bleibt die Grenze und die einschneidende Zäsur ... der gegenüber sie alle hilflos waren, die Glaubenden und die Atheisten, die Suchenden und die Fragenden, die Überzeugten und die Zweifler. Jeder muss seinen Weg finden und gehen.

Ob es da die Christen wirklich leichter haben? Sind sie Scharlatane, Betrüger, Vertröster auf ein Ewiges Leben, das keiner „nachprüfen“ kann? Das werden wir letztlich erst dann sehen, wenn wir selbst die Grenze überschreiten und uns jemand die Augen öffnet.

Über Grenzen

Von Edith Tutsch-Bauer

Erst durch Nachfragen, durch das mediale Interesse am Fach Gerichtsmedizin, wird mir häufig bewusst, dass ich jenseits einer Grenze arbeite, die für viele faszinierend und gleichzeitig angstbesetzt ist. Zahlreiche Menschen sind jedoch im Umfeld der Grenze, die durch den Tod definiert ist, beschäftigt, beispielsweise Ärzte, Hospizmitarbeiter, Geistliche, Bestatter, Friedhofsangestellte und auch Standesbeamte. Das Faszinosum, das von der Gerichtsmedizin ausgeht, scheint jedoch die tägliche unmittelbare Konfrontation mit dem Tod, mit Toten in sämtlichen Stadien der Vergänglichkeit des Körpers bis hin zu Skelettresten zu sein. In der Praxis liegt unsere Verantwortung bei den Obduktionen in der Abgrenzung zwischen Fremdverschulden und natürlichem Tod, der Rekonstruktion von Tatabläufen, der Beurteilung von akzidentiellen oder traumatischen Befunden bei Gewaltopfern, insbesondere bei Kindern, wobei eine strikte neutrale Einstellung in der Begutachtung gefordert wird.

Im Beruf gerate ich selten an meine persönlichen Grenzen, am ehesten dann, wenn ich beim Kontakt mit den Angehörigen mit deren Leid konfrontiert bin.

Meine ganz persönlichen Gefühle, meine Emotionen wurden durch fast vierzig Jahre Gerichtsmedizin nicht verändert, allenfalls bin ich empfindsamer geworden und habe gelernt, das Leben mehr denn je zu lieben, und dafür bin ich zutiefst dankbar.

… als es noch ordentliche Grenzen gab

Von Karl-Markus Gauß

In einem der ersten Bücher, die ich schrieb, „Das europäische Alphabet“, hatte ich ein eigenes Kapitel der „Grenze“ gewidmet und zu ergründen versucht, was es mit dieser auf sich habe. Und als zwanzig Jahre später ein Buch über mich erschien, nannten die Herausgeber es „Der Grenzgänger“. Die Grenze muss also definitiv etwas mit mir zu tun haben, nur weiß ich immer weniger, was ich davon zu halten habe. Immer noch höre ich ungern, dass jemand ausgegrenzt werde, obwohl mir inzwischen vorkommt, dass auch das manchmal unausweichlich ist; hingegen bin ich gewohnt, mich alle Tage so heftig von jemandem oder gegen etwas abzugrenzen, dass ich fürchte, meinen Acker schon als mein eigener intellektueller Grenzwächter zu bestellen. Dass die Grenzen durchlässig werden müssen, war für mich eine vernünftige politische Forderung, als Europa in waffenstarrende Blöcke getrennt war; als ich kürzlich las, dass die Grenze von Leben und Tod in der modernen Medizin durchlässig geworden und nicht mehr so genau festzulegen sei, wo dieser beginne und jenes ende, dachte ich mir, dass die Zeiten früher, als es noch ordentliche Grenzen gab, auf die man sich verlassen konnte, auch etwas für sich hatten. Sprachhistorisch ist unsere Grenze übrigens aus dem Altpolnischen „granica“ über das mittelhochdeutsche „greniz“ zu uns gekommen; sie ist also immer schon eine Art von Wandergrenze gewesen, und vielleicht wäre es ja klug, künftig gleich jene Dinge als Grenze zu bezeichnen, die sich fortwährend verändern.  

Mit freundlicher Genehmigung des Literaturfests Salzburg und der Autorin und der Autoren      
Literaturfest Salzburg - 27. bis 31. Mai - Erzabt Korbinian Birnbacher, Gerichtsmedizinerin Edith Tusch-Bauer und Autor Karl-Markus Gauß im Gespräch - Freitag (29.5.) 19.30 Kavernen 1595 - www.literaturfest-salzburg.at
Bilder: LF/St. Peter; privat; Kurt Kaindl Zsolnay