Manch einer vergibt, um anderen zu helfen…

LITERATURHAUS / LESUNG ALEŠ ŠTEGER

28/04/16 „Manch einer vergibt, um anderen zu helfen. Die Mehrheit von uns vergibt, um sich selbst zu helfen. Aus Eigennutz. Es gibt aber eigenartige Menschen, die in der Überzeugung vergeben, die Welt zu retten. Woher stammt dieser Glaube? Wer schreibt ihnen ihre einzigartige Rolle zu? Wer flüstert ihnen ihre Gedanken ein? Und dazu derart gefährliche Gedanken, die immer an einem ganz bestimmten Ort zu einer ganz bestimmten Zeit auftauchen….“

Von Ines Hickmann

So beginnt Aleš Štegers Debütroman „Archiv der toten Seelen“ und so beginnt auch seine Lesung am Dienstag (26.4.) im Literaturhaus. Nur wenige Gäste haben am Abend eines mit dicken Schneeflocken aufwartenden Tages den Weg auf sich genommen. Nun teilen sie Zeit und Atmosphäre mit dem bemerkenswerten jungen Mann aus Slowenien, der bisher in erster Linie als Lyriker in Erscheinung getreten ist - zugleich mit dem Mann, der einmal in Maribor vor dem Theater am Hauptplatz in Nebel und Sprühschneeregen gestanden ist und nach der Premiere von Tolstois „Krieg und Frieden“ die „großen Herren“ aus dem Nebel kommen sah...

Aleš Štegers Roman „Archiv der toten Seelen“ erschien 2014 in Slowenien – zwei Jahre nachdem Maribor europäische Kulturhauptstadt wurde – und spielt ebendort: im Maribor zur Zeit des Karnevals, zur Zeit der Verhandlungen zur „Kulturhauptstadt“, zur Zeit der Korruption und der Lügen.

In genau diese Zeit setzt der Autor auch den slowenischen Dramaturgen Adam Bely und die kubanisch-österreichische Journalistin Rosa Portero und schickt die beiden in einer geheimen Mission auf die Spur einer bösartigen Verschwörung, mit dem Ziel, deren Anhänger zu entmachten. Dabei treffen sie auf eine Vielzahl von Maribors wichtigsten Bürgern.

Grotesk und satirisch wurde der Roman bereits genannt. Auch klischeehafte Fantasyelemente meinte man zu orten. Als sehr realistisch hingegen bezeichnet Šteger ihn selbst. Wenn auch vielleicht nicht im klassischen Sinn: „Wir sagen oft, das ist nur erfunden, und gleichzeitig wissen wir, dass das immer auch mit unserem Erleben, unserer Denkweise zu tun hat.“
Im Gespräch mit Literaturvermittlerin Christa Gürtler spricht Aleš Šteger von Maribor als einer sehr interessanten Stadt. Es mische, breche sich dort Vieles. An der Grenze gelegen, suche sie ständig nach einer neuen Identität. Ihr Umgang mit der Vergangenheit sei jedoch vom Vergessen bestimmt. Und genau in diesem Umgehen von Traumata sieht Šteger eine große Gefahr.

Dadurch, dass so vieles offen gelassen, nichts abgeschlossen werde, würde es der Manipulation preisgegeben. Und in Maribor, einer Stadt, in der die Nachkriegsmassaker die Gesellschaft nach wie vor teilten, würden beide Seiten – rechts und links – von den ungelösten traumatischen Ereignissen profitieren. Und so sollte der Roman für keine der beiden Seiten zufriedenstellend sein: „Ich wollte ein Buch, das verändert, einen Schlag versetzt, eine Nähe stiftet zum Leser.“ Deshalb habe er auch eine andere Strategie gewählt, als die vermutlich vom ihm erwartete, und eine Möglichkeit gefunden, auch mit schlimmsten Vorgängen spielerisch umgehen zu können.

Dies gelingt ihm auf wunderliche Weise etwa mit dem oft benutzten Bild des Tintenfischs, der für die Verschwörung steht: „Wir alle denken, dass wir mit dem Gehirn denken. Der Oktopus ist der lebendige Beweis dagegen.“ Oder auch mit Szenen, wie dem Zusammentreffen der beiden Protagonisten Adam und Rosa mit der Direktorin des Stadtfriedhofs von Maribor, die unumwunden ihre herausragenden Dienstleistungen anpreist, die vom Angebot von am Grab angebrachten Life-Video-Kameras bis zur kondensierten Einäscherung reichen: „Kleine Mädchen tragen Swarovski-Steine um den Hals, Erwachsene ihre Vorfahren.“

Ob er glaube, dass Literatur die Welt verändern könne, fragt ein Besucher am Ende des Abends in kleiner verbliebener Runde. Das glaube er nicht, so der Autor, obwohl man in Stille immer auch ein Weltveränderer sein wolle, als Literat. Anstoß für Veränderung könne Literatur allerdings geben. Und dieser Anstoß schien tatsächlich auszugehen von Aleš Šteger, einem Autor, der von der Dringlichkeit spricht, aus der heraus er schreibt.

Bild: Leselampe/Joze Suhadonik