Ein Schiff für Liebeskummer

MOZARTWOCHE / LE NOZZE DI FIGARO

26/01/20 Susanna und Marcellina zanken und keifen: Wer kriegt den Figaro? Der Dirigent kriegt beinah auch sein Teil ab. Bevor die Damen handgreiflich werden, trennt Sir András Schiff – zwischen den beiden durch dirigierend – die Konkurentinnen. Überhaupt wenden sich die Solisten aller Liebeslager gern, Unterstützung heischend, an den Maestro... Der konzertante Figaro bei der Mozartwoche in der Felsenreitschule hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.

Von Heidemarie Klabacher

Immer wieder also richten die Sängerinnen und Sänger Freud und Leid, Rechtsanspruch auf Liebe oder Klatsch und Tratsch an den Dirigenten: Dieser kleine Gag zieht sich leitmotivisch durch den Figaro, wird aber nicht zu Tode strapaziert, sondern bekommt sogar einigen Charme durch das gutmütig väterliche „Mitspielen“ von Sir András Schiff. Er ist dadurch nicht nur der musikalische Leiter der konzertanten Aufführung von Mozarts Oper Le nozze di Figaro in der Felsenreitschule, sondern eine Art therapeutischer Mentor für die Truppe auf Liebes-Abwegen. Das hat durchaus Witz.

Auch eine konzertante Aufführung braucht einen Ohrensessel, hinter dem sich Cherubino oder Graf Almavia verstecken können. Weitere Versatzstücke sind zwei Paravents, ein paar Stühle und irgendwo eine kleine Stehlampe, die einmal angeknipst – netter Scherz – Bühne samt Arkaden erleuchtet. Die psychologischen Tiefen-Tragödien unter der Oberfläche des Tollen Tags (erinnert sei an die exemplarische Figaro-Regie von Klaus Guth aus dem Festspielsommer 2011) bleiben freilich unausgeleuchtet, wird das Regieglück ausschließlich den Mitwirkenden anvertraut.

Ein konzertanter Figaro also auf der radikal leeren Bühne der überdimensionalen Felsenreitschule: Die Cappella Andrea Barca, samt Arnold Schoenberg Chor in drei aufsteigenden Podest-Reihen im Hintergrund, wirkt auf der riesigen „Arena“ wie ein wackeres Fähnlein einiger Sieben Aufrechter, kann sich klanglich aber erstaunlich gut behaupten: Zumindest auf einem Platz Achte Reihe leicht links kommen fein phrasierte Linien besonders der Holzbläser quasi auf Augenhöhe an. Der Gesamtsound der Streicher ist homogen und seidig. Sir András Schiff legt den Sängerinnen und Sängern ein mäßiges bis langsames Tempo zu Füßen, gibt ihnen so die Chance, jede einelne Phrase zum Glanz zu runden und jedes Wort verständlich zu artikuliern.

Sir András leitet freilich die Aufführung vom Hammerklavier aus, stehend, die Rezitative selber begleitend, bei Bedarf also in die Knie gehend und sich leicht vorbeugend: Auf vier Stunden ist das allein schon eine Ausdauerleistung. Dennoch oder wohl genau deswegen verstärkt sich kontinulierlich der Wunsch nach einem zusätzlichen Continuospieler. Ein solcher könnte sich zusammen mit der Continuogruppe ganz auf das Fließen und Wiegen zwischen Rezitativen und Arien konzentrieren und auf dem Hammerklavier da und dort vermisste klangliche Glanzlichter setzen. Den großen musikalischen Atem ins Fließen zu bringen und vor allem über vier Stunden im Fließen zu halten, ist im ersten der beiden Konzerte nicht gelungen.

Auch ob ausgerechnet die leergeräumte Felsenreitschule der richtige Ort für dieses Experiment ist, muss nach dem Auftakt zum geplanten Zyklus konzertanter Da Ponte-Opern (Premiere am Freitag 24.1.) hinterfragt werden. Im Grunde blieb es, trotz liebenswürdigen Schauspiel-Bemühens der Solisten, beim Absingen von Nummern an der Rampe, obwohl da viel Schönes und Erhellendes dabei ist. Florian Boesch etwa, ein legerer Conte di Almaviva, lässt jedes Wort und jede Phrase – nicht nur in seinen Arien, sondern besonders nachhör- und spürbar in den Ensembles – geradezu greifbar werden. Christiane Karg ist rollengemäß eine in ihren verletzten Gefühlen erstarrte Contessa di Almaviva, schenkt aber ihren Arien lebendiges Timbre und feinen Glanz noch im Pianissimo der höchsten Lagen. Regula Mühlemann eine quirlige, klar artikulierende Susanna mit lockerer silbriger Höhe, Julien van Mellaerts ein stimmlich immerhin zufriedenstellener burschikoser Figaro, Angela Brower ein Cherubino von Temperament und stimmlicher Strahlkraft, Julia Lezhneva eine Barberina von Festspielformat: Chapeau vor ihnen allen.

Ceterum censeo... Mozart lebt! Das kommt jetzt nicht nur vom Band, sondern steht auch auf der Leuchtanzeige bevor die Übertitel erschienen.

Eine weitere Aufführung heute Sonntag (26.1.) um 15 Uhr in der Felsenreitschule – www.mozartwoche.at
Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher