Die stille, sinnige Fröhlichkeit

CD-KRITIK / SCHUBERTIADE

20/04/17 Das „Morgenlied“ ist ja eigendlich ein Abendlied, denn es läuft hinaus auf den (Lebens)Abend, auf die stille Betrachtung des Mondes, auf den „Widerschein der Jugendzeit“. Er (und er allein) sichert denen, die da „geduckt im Nest“ sitzen „die stille, sinnige Fröhlichkeit“.

Von Reinhard Kriechbaum

Da sind ziemlich viele Topoi der Romantik beisammen und alle Tricks, die Schubert anwandte, um so etwas musikalisch zu fassen, im gezielten Lavieren zwischen Dur und Moll, das immer auch einen Lichtstrahl ins vermeintlich Düstere entsendet, aber auch die Fröhlichkeit stets ein klein wenig einnebelt. Stimmig, so etwas weit vorne hinzustellen in einer mit „Schubertiade“ überschriebenen Lied-Zusammenstellung, die freilich mit dem „Wanderer“ beginnt, also dem Romantik-Motiv schlechthin...

Dort ist die Erkenntnis, dass das Glück stets anderswo als man selber ist. Stimmt gar nicht: Mit dieser CD hat man Liedgesangs-Glück in seiner erhellendsten Form eingekauft. Den „Wanderer“ hat der in Notenverkaufs-Fragen so umtriebige wie untäuschbare Anton Diabelli für Gitarre gesetzt, wie vieles andere von Schubert. Was, wenn nicht den „Wanderer“ mit dem handlichen Zupfinstrument losschicken? Funktioniert nicht immer wirklich befriedigend, wie man von manchem ehrgeizigen Schubert/Gitarren-Versuch (die „Schöne Müllerin“ ist dafür besonders anfällig) weiß. Was allemal dafür spricht: Die Gitarre mit ihrem eineschränkteren Volumen und der geringeren dynamischen Bandbreite legt ein deutlich subtileres vokales Gestalten nahe. Gerade im „Wanderer“ führt Julian Prégardien das einnehmend vor, und da kann man auch gleich den runden, überhaupt nicht wabernden Ton eines 1842 in Barcelona gebauten Instruments auskosten.

Geht's ans Melodische, eignet Gitarren-Adaptionen oft etwas Uneingelöstes. „Singen“ kann das Klavier einfach besser. Julian Prégardien hat sich deshalb Helfer geholt: den Traversflötisten Marc Hantaï und – da wird’s exotisch! – Philippe Pierlot mit dem Baryton. Das ist, wie man aus Haydns Werken für dieses Instrument weiß, kein Bass-Brummer, sondern mit seinem ausgeprägten d'amore-Charakter (die Resonanzseiten machen es aus) ein ziemlich ideales Ding zum Herauszeichnen von Mittelstimmen. In „Schäfers Klagelied“ wird das Baryton eingeführt, gleich mit ein paar flockig improvisierten Vorspiel-Takten gemeinsam mit der Flöte. Im weiteren Verlauf stärkt es nicht nur die Kontur, sondern meldet sich auch durchaus selbstbewusst mit „einkomponierten“ Floskeln rund um Leit- und Grundtöne zu Wort. Das ist raffiniert (neu) gesetzt als sehr überzeugende Hypothese zum Thema Biedermeier-Kammermusik.

Julian Prégardien setzt das um, was historisch nicht nur vertretbar, sondern eigentlich richtig ist, was sich Kolleginnen und Kollegen aber bei Schubert selten genug zutrauen: Er geht in den Verzierungen sehr weit, nicht nur mit Prallern oder Mordenten. Julian Prégardien scheut auch nicht, in strophischen Gesängen Melodien zu variieren oder gar komplett umzubiegen. Auch weniger versierte Hörer wird das „Heidenröslein“ aufhorchen lassen, dem Prégardien in der zweiten Strophe einige ausgreifende Auszierungen in Kadenznoten mitgibt und dann am Ende auf die Phrase „musst es eben leiden“ komplett „umkomponiert“.

Bei so etwas Bekanntem ist das durchaus statthaft, bei Unbekannterem geht der Sänger deutlich vorsichtiger zu Werke. Und davon gibt es nicht so wenig in dieser durchaus schattseitigen Kompilation, die aber – man vergleicht unwillkürlich mit Christian Gerhaher und dessen der Psychiater-Zunft zuarbeitenden Trübsinns-Programmen – von Prégardien immer wieder optimistisch aufgebrochen wird. So steht „Der Schwanengesang“ – das so gut wie nie zu hörende Todesahnungslied, nicht der Zyklus! – nicht weit weg von „Lachen und Weinen“...

Schubertiade. Julian Prégardien (Tenor, Rezitation), Marc Hantaï (Traversflöte), Xavier Diaz-Latorre (Gitarre), Philippe Pierlot (Baryton). Myrios classics – www.myriosclassics.com