Daheim in der Kirche und im Opernhaus

CD-KRITIK / NICOLA LOGROSCINO

19/09/19 Um 1740 war ein Herr namens Nicola Logroscino aus Neapel in der Musikwelt Europas durchaus ein Begriff. Da schreibt ein Italiener namens Napoli Signorelli über ihn, Logroscino sei der Erfinder der Opera buffa.

Von Reinhard Kriechbaum

Das natürlich nicht, aber eine solche Einschätzung des Zeitgenossen zeigt, wie bekannt dieser gebürtige Süditaliener (1698-1764/65) war. Noch 1780 wird er in einem Essai sur la musique ancienne et moderne von dem französischen Komponisten Jean-Benjamin de La Borde als „Dieu du genre buffon et modèle à presque tous les compositeurs du genre“ beschrieben. Man muss sich trotzdem nicht schämen, den Namen Nicola Logroscino noch nicht gehört zu haben. Seine posthume Götterdämmerung hat nicht lange auf sich warten lassen.

Geboren in Bari in eine Familie im Kirchenmusiker-Milieu, kam Logroscino 1714 nach Neapel. Einer seiner Lehrer dort, Giovanni Veneziano (1683–1742) zählte zu den ersten neapolitanischen Komponisten komischer Opern. Nach einem Intermezzo als Organist am Dom in Conza (Kampanien) kehrte Logroscino nach Neapel zurück, und für gut zwanzig Jahre war er dort einer jener nicht wenigen beflissenen Opern-Handwerker, die den Betrieb in den vielen Theatern der Stadt aufrecht erhielten. Die letzten Lebensjahre verbrachte er als Kapellmeister am Conservatorio de’ figliuoli dispersi in Palermo. Eine überschaubare Musiker-Dutzendkarriere.

Weil der Musik Neapels, den Notenschätzen der dortigen Musikinstitutionen (vor allem natürlich des Konservatoriums) in den letzten beiden Jahrzehnten nicht wenig musikwissenschaftliche und editorische Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist manches Manuskript gehoben worden. Die seit 1997 tätige Fondazione Pietà de' Turchini ist da zu nennen, unter deren Fittichen auch junge Originalklangensembles wie – auf dieser CD kennen zu lernen – die Gruppe Talenti Vulcanici gewachsen ist. Ein hübscher Name. Die Musik des Nicola Logroscino bietet freilich wenig Gelegenheit für nachgestalterischen Eruptionen. Wer sich im 18. Jahrhundert in Neapel als Opernkomponist bewährte, konnte schon wegen der Riesenkonkurrenz dort nicht schlecht sein. Mehr ist über Logroscino eigentlich nicht zu sagen.

Als Logroscino 1760 sein Stabat Mater (Hauptwerk dieser CD) schrieb, war jenes von Pergolesi in gleicher Besetzung ein Vierteljahrhundert alt. Logroscino war damit gewiss vertraut. Als Kirchenmusiker mit Opernpranke wusste er um mögliche Effekte und brachte genau so viel Emotion ein, wie er sie als Komponist von Buffo-Werken wohl zu dosieren verstand. Für die Zeitgenossen war das hinsichtlich der Kirchenmusik vermutlich Zeitgeist genug.

Eine schöne, von den Ausführenden solide nachgezeichnete Musik. Auch die beiden Singstimmen, die Sopranistin Giulia Semenzato und der Countertenor Raffaele Pe, schießen in der gestalterischen Intensität nicht übers Ziel hinaus. Einleitend eine kleine Kammerkantate: „Ecco l'ara, ecco il nume“ erzählt in zwei hübschen Arien, nebst dreiteiliger verkappter Opernouverture und einigen Rezitativen, von der Nymphe Tirsis. Und wieder eine andere Perspektive auf die Musik von Nicola Logroscino: ein hübsches Concerto für Traversflöte, zwei Violinen, Viola und Basso continuo. Das Manuskript hat sich übrigens in der Universitätsbibliothek im schwedischen Lund erhalten. Logroscino ist zu Lebzeiten nicht weit herumgekommen, sein Ruf und seine Noten aber schon.

Nicola Logroscino: Stabat Mater, Concerto per flauto traverso, Cantata „Ecco l'ara, ecco il nume“. Giulia Semenzato (Sopran), Raffaele Pe (Countertenor), Marcello Gatti (Traversflöte), Talenti Vulcanici, Ltg. Stefano Demicheli. ARCANA A 455 – www.prestomusic.com