Teufels Bratsche, Sphären Klang

CD-KRITIK / MIECZYSŁAW WEINBERG / VIOLA SONATEN

04/12/19 Mit dem 100. Geburtstag von Mieczysłav Weinberg am 8. Dezember entdet das Weinberg-Jahr, aber sicher nicht wieder die Präsenz des Komponisten auf Podium und CD. Auch in der Weinberg-Renaissance noch kaum wahrgenommen wurden dessen vier Sonaten für Solo-Viola. Der Bratschist Viacheslav Dinerchtein hat die monumtalen Virtuosen-Werke in einer grandios erhellenden und eminent musikantischen Einspielung vorgelegt.

Von Heidemarie Klabacher

Gedenktage sind eine wirklich gute Sache, besonders wenn sie schaffenden Künstlern gelten, die dermaßen zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind, wie Mieczysłav Weinberg. Seinen hundertsten Geburtstag feiert in Salzburg das Festival Weinberg 100, das heute Donnerstag (4.12.) im Das Kino beginnt. Das Stadler Quartett spielt Weinbergs Capriccio op. 11 gefolgt vom Film Wenn die Kraniche ziehen, zu dem Mieczysłav Weinberg die Filmmusik geschrieben hat.

Weitere namhafte Salzburger und Internationale Künstlerinnen und Künstler konnten vom Verein West-Östlicher Divan gewonnen werden: Gidon Kremer, der sich wie kaum ein zweiter um die Wieder-Entdeckung des Polnischen Komponisten und Pianisten verdient gemacht hat, wird dessen Violin Solosonaten op. 82 und op 95 spielen. Mirga Gražinytė-Tyla wird den Salzburger Festspiele und Landestheater Kinderchor mit Weinbergs Sechs Kinderliedern op. 139 dirigieren. Abgesehen von diesem Salzburger „Weinberg-Einsatz“ legten die Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra und der legendäre Gründer und Leiter der Kremerata Baltica erst jüngst eine CD mit der zweiten und der 21. Symphonie Weinbergs vor.

Dieser Tage also Geburtstagsfest zum „Hunderter“. Lang ist's her? Eigentlich gar nicht. Und verstorben ist Mieczysłav Weinberg überhaupt erst als unser aller Zeitgenosse im Jahr 1996. Seine Musik, wenn auch weder Atonal noch Spektral oder Sonstwie-Experimentell, ist zeitgenössische Musik im Sinne einer „klassischen“ Moderne. Frühem Schönberg oder Berg, durchaus auch Skrjabin oder da und dort vielleicht für Momente auch einem Debussy verbunden, ist Weinbergs Expressionismus von stupender Eigenständigkeit in der Tonsprache.

Wie opulent und klangsinnlich und zugleich tiefgründig und komplex seine Orchesterwerke sind, demonstrierte erst jüngst das Mozarteumorchester unter der Leitung der unermüdlichen Weinberg-Verfechterin Mirga Gražinytė-Tyla mit der „Zweiten“. Radikaler ist seine Kammemusik. Zum Aufregendsten überhaupt – auch über Weinbergs Schaffen hinaus gedacht – gehören seine Solo-Sonaten: Mieczysłav Weinbergs vier Cello-Sonaten für Mstislav Rostropovich entstanden zwischen 1960 und 1985, die drei Violin-Sonaten zwischen 1964 und 1979, die vier monumentalen Viola-Sonaten zwischen 1971 und 1983. Seine eine Kontrabass-Sonate schrieb Weinberg 1971, diese wird übrigens beim Festvial Weinberg 100 erklingen.

Als Weinberg begann, seine Viola-Sonaten zu schreiben, war er schon ziemlich in Vergessenheit gesunken. Seine Viola-Sonate Nr. 1 op. 107 erlebte ihre erste dokumentierte Aufführung erst 1999. Und welchen Formen- und Klangreichtum umfasst allein dieses formal klassisch vierstätzige Stück.

Fulminante rhyhmische Eruptionen, Tänze und Taktwechsel, die Bulgakovs Teufel und sein Kater damals in Moskau hätten zurücklassen können. Themen, die gelegentlich von schlichtetsten Ein-Ton-Motiven ausgehend, wie im Zorn oder Verzweiflung eine ganze Welt zu überwuchern oder zu durchziehen scheinen. Flageolett- oder Oberton-Effekte die überirdisch aufstrahlen und dennoch wenig Hoffnungslicht scheinen lassen. Technische Herausforderungen von Lagenwechseln und -sprüngen bis zu Doppel- oder Mehrfachgriff-Passagen. Oder, in der Bogenhand, knochen-hartes sprödes Spiel am Steg, nervös prallender Bogen oder, genau das Gegenteil, klanvolle Weite... Wo anfangen mit der Beschreibung. Wo aufhören. Da ist die aberwitzig virtuose Coda der Sonate Nr. 3 op 135, die wirklich vom Teufel zu reden scheint: Der Bratschist Viacheslav Dinerchtein jedenfalls erschließt mit seiner Wiedergabe nicht nur die Struktur der komplexen Werke. (Diese weisen übrigens nach dem ersten Werk keine einschlägigen Satzbezeichnungen mehr auf.) Viacheslav Dinerchteins kräftiger Ton kennt kein Zaudern in der Dramatik der zahlreichen scherzo-artigen Attacken. Das ist pure Energie  und bleibt in dieser stupenden Interpretation dennoch immer geschmeidig: Auch Lava fließt in ruhigen Strömen. Die kostbaren wirklich ruhigen Momente, erwähnt seien der sanft wiegende vierte Satz der dritten Sonate oder der letzte Satz der nur dreiteiligen vierten Sonate, atmen Ruhe und Größe.

So richtig legendäre Sonaten-Zyklen kennt die Musikgeschichte mehr für die Solo-Violine, seien es jetzt von Bach oder Ysaÿe. In genau diese Reihe jedenfalls gehören in technischer, musikalischer, klanglicher Hinsicht - nur eben in einem anderen Verwandtschaftsgrad in der Geigenfamilie – die vier Sonaten für Viola Solo von Mieczysłav Weinberg. Dem Bratschisten Viacheslav Dinerchtein ist nicht genug zu danken für seine virtuose, kraftvolle und dabei so beredete Interpretation dieser Meisterwerke.

Mieczysław Weinberg: Complete Sonatas for Solo Viola. Viacheslav Dinerchtein. Solo Musica 2019. SM310. 2 CDs - solo-musica.de