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Gespielte echte Leidenschaften

CD-KRITIK / DOROTHEE OBERLINGER

16/10/20 Die Entdeckung der Leidenschaft, ein solcher Übertitel sollte eigentlich gleich mal zu Widerspruch anstacheln. Hat es denn vor dem Frühbarock keine ausufernden Emotionen in der Musik gegeben? So ist das Motto dieser Werkzusammenstellung freilich nicht gemeint.

Von Reinhard Kriechbaum

Wir sind in den frühen Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts unterwegs. Die vielstimmigen manieristischen Aufregungen eines Gesualdo sind einer ganz neuen ästhetischen Ausrichtung gewichen: Das polyphone Madrigal wird von der Monodie abgelöst. Aus der neuen literarischen Beschäftigung mit dem Wort wird eine neue musikalische Rhetorik entwickelt, und diese auf eine führende Stimme umgelenkt. Auf den Primat dieser einen (Sing-)Stimme waren, salopp gesagt, die Instrumentalisten mächtig eifersüchtig. Egal ob auf Saiten- oder Blasinstrumenten: Es hub das große Experimentieren, wie man diese Ausdrucksmöglichkeiten umschreiben, auf die jeweiligen Instrumente übertragen könne. Das also ist mit „Discovery of Passion“ gemeint.

Und wie immer in einer Epoche des Umbruchs: Die neuen Optionen hatten sich noch nicht zu Regeln gefestigt, der Ausdruckskanon war noch nicht festgeschrieben. Nichts also stand der Experimentierlust entgegen. Die trieb die allerschönsten Blüten: Eine Toccata für Cembalo wie jene von Michelangelo Rossi hebelt den Hörer mit chromatischen Abstürzen gleichsam aus und ein „Capriccio cromatico“ von Pietro Paolo Melli hat eine solche harmonische Versuchsanordnung quasi schon im Titel eingeschrieben.

Vor allem geht es hier aber natürlich um die Blockflöte und die Violine. Erstere in Tonumfang und Klangbrillanz weiter zu entwickeln, war nun Causa prima der Instrumentenbauer. Nicht mehr der sanfte Consort-Ton war jetzt gefragt, sondern ein Klangwerkzeug, mit dem man eben dem neuen Ausdruck gerecht werden konnte. Wenn nun Komponisten wie Dario Castello oder Giovanni Battista Fontana ihren Spielern Tonkaskaden von bis dahin ungeahnter Finger- und Zungenfertigkeit abverlangen, ist das stilistisch etwas ganz anders als das Diminuieren, wie es etwa Ganassi für die Renaissance-Blockflöte gelehrt hatte.

Darauf also lohnt es sich genau zu hören in dieser auf Vielfältigkeit setzenden Werkfolge. Der neue Geist sprüht nicht nur aus einem unmittelbar den neuen Stil spiegelnden Solowerk wie Giovanni Bassanos „Ricercata terza“. Wenn Francesco Rognoni zu einem Madrigal von Palestrina griff und die Sopranstimme gemäß „l'uso moderno“ (wie es im Werktitel heißt) gehörig aufpeppte, entstand wahrhaft neue Musik. Vokalmusik wurde „übersetzt“, noch einmal ausdrucksmäßig überhöht ins Instrumentale. Die Version von Monteverdis Madrigal „Hor che'l ciel“ aus den „Canti guerrieri et amorosi“ steht für dieselbe Metamorphose (in dem Fall eine neuzeitliche Übertragung).

Logisch, dass sich gerade damals auch die Geige sehr entschieden von der Gambe, bis dahin ja auch primär Consort-Instrument, löste. Weil Dorothee Oberlingers Geigen-Partner Dmitry Sinkovsky auch eine guter Countertenor ist, kann er die neue Ästhetik gleich auf zwei Ebenen vorführen. In einem Stück aus „L'incoronazione di Poppea“ singt er und spielt er sogar selbst in den Ritornellen.

Der schlanke, klare Geigen-Diskant und die insgesamt perlende Phrasierung auf der Geige geht wunderbar zusammen mit Dorothee Oberlingers oft raffinierter Artikulation. Es ging in dieser Epoche ja auch darum, die Möglichkeiten der Instrumente auszuloten. Eine Besetzungsanweisung wie sie Giovanni Battista Fontana für eine Sonatensammlung schrieb, regt an zum Ausprobieren: „per il violin o cornetto, fagotto, chitarone, violoncino o simile altro istromento“ heißt es da.

Mehr Freizügigkeit, mehr Mutmachen zum Ausprobieren geht nicht. Und so sind auch die Mitstreiter im Ensemble 1700, der Cellist Marco Testori, Luca Pianca an der Erzlaute und Jeremy Joseph auf Cembalo und Orgelpositiv hinlänglich gefordert.

Discovery of Passion. Dorothee Oberlinger (Blockflöte), Dmitry Sinkovsky (Violine, Countertenor), Ensemble 1700. deutsche harmonia mundi LC 00761

 

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