Ein Lied-Schätzlein im Sturm und Drang

CD-KRITIK / JULIANE BENDA / LIEDER

11/01/21 Gerne wäre man hellohrige Stubenfliege gewesen im Haus von Juliane Benda und Johann Friedrich Reichardt. Da hätte man sozusagen im Epizentrum der deutschen Kultur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mitgesummt.

Von Reinhard Kriechbaum

Carl Philipp Emanuel Bach gehörte ebenso zum Bekanntenkreis wie Matthias Claudius, Johann Gottfried Herder oder Friedrich Gottlieb Klopstock. Und wenn die beiden mal in Reichardts Geburtsstadt Königsberg reisten, schaute man natürlich beim guten Freund Immanuel Kant vorbei. Das sind nur ein paar Namen auf der umfänglichen Liste an Geistes- und Sozialkontakten. Nicht sonderlich erfolgreich, aber bestens vernetzt war Reichardt als Opern-Impresario Friedrichs des Großen (ein Job, den er übrigens deshalb bekam, weil er als Komponist konservativ und zweitklassig genug war für den Opern-Geschmack des Alten Fritz).

In diesem Umfeld also hat Juliane Benda (1752-1783), Tochter des aus Böhmen über Warschau und Dresden als Kapellmeister nach Berlin gekommenen Franz Benda, ihre wenigen überlieferten Kompositionen geschaffen: siebzehn Lieder, die nun erstmals auf CD vorliegen, außerdem zwei Klaviersonaten. Als Sängerin und Cembalistin hatte sie einen guten Namen. Johann Friedrich Reichardt förderte seine Gemahlin im übrigen, indem er ihr – zum 30. Geburtstag wohl – eine gedruckte Werkausgabe spendierte. Die Geburt ihres dritten Kindes ein jahr später hat sie leider nicht überlebt.

Siebzehn Strophenlieder, schlicht und schnörkellos, manche gerade acht Takte lang. Keine Note zu viel, vielleicht (wenn man ätzen wollte) der Inspiration etwas zu wenig – aber es war auch nicht alles Gold, was die Sturm- und Drang-Dichter der Zeit zulieferten. Da war man als Vertoner(in) gut beraten, nicht noch Emotion nachzuladen.

Der CD-Titel Lieder 1782 & 2020? Der Pianist Oliver Andreas Frank (der unter anderem am Mozarteum studiert hat) erklärt seine Motivation zu Neukompositionen damit, dass die einfachen Melodien der Juliane Benda wohl kaum die vielen Liedstrophen trügen. Andres gesagt: So wenig text-gestalten könnte man gar nicht, ohne diese Miniaturen hoffnungslos überzustrapazieren. So begegnet einem auf dieser CD-Erstaufnahme das Original nur jeweils mit der ersten Strophe. Judith Spiesser singt geradlinig, völlig unaffektiert – ganz so, wie es die Schlichtheit nahe legt. Es ist feine, einfache Hausmusik und wollte auch nicht mehr sein.

Dann kommt der Ehrgeiz von Oliver Andreas Frank ins Spiel, der mit der guten Repertoirekenntnis eines Hammerflügel-Spezialisten und dem Wissen, wie es weiterging in der Geschichte des deutschen Liedes, mögliche Gestaltung weiterdachte – das aber immer mit disziplinvollem Blick aufs Original. Da wird also die Klavierstimme in alle Richtungen ausgeschmückt, sanft verdichtet, die eine oder andere Phrase auch melodisch verändert zugunsten des Ausdrucks. Undogmatisch geht Oliver Andreas Frank mit der Chromatik um. Er betrachtet das melodische Material, entwirft immer wieder charismatische Vor- und Nachspiele. Einmal („Lied eines Mädchens“) inspiriert ihn ein kantigeres Thema gar zu respektablem Fugato.

Das geschieht immer mit Augenmaß. Die Kleinform gerät bei alledem nicht außer Kontrolle. Wenn man eine Schublade sucht: „Charaktervariationen“ könnte man es eher nennen als Neukompositionen. Und die Sängerin bleibt auch da in Stimmführung und Gestaltung so schlicht und natürlich, dass auch dies ein starkes Regulativ zu all den Zutaten des Klaviers (dem Nachbau eines Stein-Flügels) ist. Eine Freude ist die Aufmachung: anregender Lesestoff mit zeit- und kulturgeschichtlichen Hintergründen.

Juliane Benda & Oliver Andreas Frank: Lieder 1782 & 2020. Judith Spiesser (Sopran), Oliver Andreas Frank (Hammerklavier). Palaion – palaion.de