Kreuzverhör mit Posaune

CD-KRITIK / BERTL MÜTTER

24/12/20 Kirchenmausmusik, was für ein schönes Wort. Und wie zutreffend für die Umstände, unter denen diese CD entstanden ist. Es war Lockdown, der erste, jener ab Mitte März. Und, wiewohl der Stephansdom offen war: Nur wenige Menschen verirrten sich hinein. Und die waren so leise wie die Kirchenmäuse.

Von Reinhard Kriechbaum

Der Posaunist Bertl Mütter ist ein spiritueller Mensch, er hat sogar einmal Theologie studiert. Wenn er seinen Posaunenkoffer in einer Kirche aufmacht, dann fordert das alsbald Wechselwirkungen zwischen Mensch, Instrument und Raum heraus. Die drei Wörter kann man in beliebiger Reihenfolge nebeneinander stellen, sie stehen für eine Art trombonautischer Dreifaltigkeit.

In der Zeit weitgehender Stille also ist Bertl Mütter durch den Stephansdom gezogen, hat die Räume, ihre Aura und ihre Akustik auf sich wirken und sich davon heraufordern lassen. Der Titel der CD mit 21 Hörstationen, auscultationes, beschreibt den Ansatz. Das lateinische Wort meint aufmerksam Zuhören, Lauschen, Belauschen. Das also hat Bertl Mütter an vier stillen Tagen getan. Er lotet auch sonst gerne die Grenzen seines Instruments aus und geht ein Stück drüber hinaus.

In der Unterwelt hat er angefangen, der Herzogsgruft, dem Karner, der Unterkirche. Da ist es nur in Maßen gruftig. In der zweiten Meditation in der der Alten Pestgrube geht es zumindest zeitweise kreuzfidel zu und im Sarkophag (auch dieser in zwei Varianten erkundet) scheint Mütter noch genug Platz für eine Art Totentanz ausgemacht zu haben. Das Klopfen aufs Posaunenmetall lässt an ein fast gespenstisches Perkussionsinstrument denken.

Eine Kathedrale also im inspirativen und konspirativen Kreuzverhör mit einer Posaune. Da und dort ein Anklang, ein Hauch von Zitat, vielleicht planvoll, vielleicht zufällig eingebracht oder gar nur vom Hörer hinein gedacht: Das Auffallende an diesen Kompositionen (oder sagen wir besser: eingefrorenen Improvisationen, Meditationen) ist eben, dass von Musikerseite keine vorschnellen Assoziationen losgetreten werden. Im Souterrain nicht, aber auch nicht zu ebener Erde (im Langhaus und in den Seitenkapellen), und auch dann nicht, wenn es näher Richtung Himmel geht. Dass die Akustik in der Türmerstube deutlich karger ist als in der kleinsten Kapelle, relativiert des Himmels Süße: Trotz großem Weitblick von dort oben nur anderthalb Minuten Musik, wogegen die meisten anderen Räumlichkeiten im Stephansdom Bertl Mütter zu deutlich mehr als dreiminütigen Klangbildern angeregt haben. In der Alten Glockenstube bimmelt eine Glocke hinein in die Posaunen-Feierlichkeit. Erstaunlich, wie hoch der irdische Geräuschpegel droben bei der Pummerin ist (aber dort wurde im Juni aufgenommen, da war die Lockdown-Lage schon entspannter und draußen mehr los).

Der Tonmeister Robert Pavlecka darf nicht ungenannt bleiben, denn gerade angesichts von Mütters intensiver Akusto-Vermessung der Architektur kommt ihm in Sachen Raum-Klang eine wichtige Rolle zu. 78 Minuten dauern Bertl Mütters auscultationes. Er hat Tricks drauf, dass die Posaune auch mehrere Töne zugleich hergibt. In der Bruckner-Paraphrase irreprehensibilis (nach der Motette Locus iste) zeigt er das. Irreprehensibilis heißt übrigens untadelig. Aber das ist keine Beschreibung für eine Musik, mit der ihr Schöpfer den spirituellen Nervenbahnen eines Stein gewordenen Organismus nachspürt.

aus|cul|ta|tio|nes. Bertl Mütter (Posaune, Komposition), Robert Pavlecka (Tonmeister). Aufgenommen im leeren Stephansdom, Wien, im Frühling 2020. CD ARBE 15 – www.muetter.at