Mozart für ziemlich große Taschen

CD-KRITIK / POCKET MOZART

05/09/22 Der erste Satz aus Mozarts erstem der „Preußischen Quartette“ KV 575 in einer eingeköchelten Fassung für zwei Violinen. Das ist nur eines der Fundstücke auf dieser CD, die unter dem Titel „Pocket Mozart“ einiges zu Erwartendes bietet, aber auch manch Unbekanntes zutage fördert.

Von Reinhard Kriechbaum

Bearbeitungen der bekanntesten Nummern aus der Zauberflöte – solchen begegnet man ja gar nicht selten im Konzertsaal. Der verstorbene ehemalige Soloflötist der Wiener Philharmoniker Wolfgang Schulz und sein symphonischer Oboen-Kollege aus Berlin, Hansjörg Schellenberger beispielsweise sind ihr Duo-Leben lang mit solchen charmanten und effektsicheren Stücken durch die Lande gezogen.

Dass es unterschiedliche derartige Opern-Reduktionen noch aus dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts gibt und dass Musikverlage versuchten, sich gegenseitig damit auszustechen in der Gunst der Musikfreunde, ist weniger geläufig. Aber noch viel weniger bekannt ist wahrscheinlich selbst unter Mozart-Kennern, was Johann Anton André im Jahr 1800 vorgelegt hat: „Douce Duos, composés par W. A. Mozart“ wurden da großspurig versprochen. Man hielt es damals nicht so streng mit der Urheberschaft. Was kratzte es damals einen Verleger in Offenbach am Rhein, dass Mozart in Wirklichkeit kein einziges Duo-Werk für zwei Violinen komponiert hat? Die zwölf Duos entpuppen sich als Bearbeitungen. Klaviersonaten wurden für zwei Geigen gesetzt und sogar sehr komplexe Streichquartett-Sätze durch den Hackwolf gedreht. Die Konkurrenz unter den Bearbeitern muss enorm gewesen sein, und ihre musikalische Kompetenz darf man wohl nicht unterschätzen, wie man eben aus der eingangs erwähnten „Sparvariante“ eines Streichquartett-Satzes herauslesen kann. Eine solche Bearbeitung braucht ja, auch wenn sie im Einzelnen sehr frei ist, nicht wenig instrumentenspezifisches Wissen und tonsetzerisches Geschick.

Diese André-Ausgabe ist dann übrigens fast ein Jahrhundert später, 1894, im Braunschweiger Verlag Litolff als „Duos Opus 70“ nochmal überarbeitet und neu editiert worden und wurde zum Hausmusik-Bestseller. Heutzutage ist all das völlig verschwunden von den Notenpulten.

Mónica Waisman und Florian Deuter holen mit zweien dieser Duos aus der Offenbacher Ausgabe von 1800 gute Stücke „Originalton“ dieser Epoche aus der Versenkung. Viel später, 1899, ist bei Pleyel in Paris eine Fassung für Violinduo erschienen, das sich des Variationensatzes und des Rondo alla turca aus der Klaviersonate KV 331 bedient. Vorgestellt werden einige Figaro-Nummern in einer Version, die 1800 in einem Amsterdamer Musikmagazin herausgekommen sind. Und die Zauberflöten-Gassenhauer? Die spielen sie nicht in der bis heute beliebten Duo-Adaption von Johann Wendt (Artaria, Wien 1792), sondern in einer Variante, die Schott zwei Jahre später in Mainz auf den Markt geworfen hat.

Ehrlich zu staunen gibt’s da genug, die Bearbeiter gingen satztechnisch raffiniert vor und setzten Mozarts Vorlagen frei und kreativ um. Mónica Waisman und Florian Deuter kitzeln gerade diese individuellen Abweichungen und Weiter-Spinnungen gustiös heraus. Sie tauchen das Tempo gerne an, wodurch die Bearbeitungen nochmal an Wirkung und Eigenart gewinnen. Darf man davon ausgehen, dass „Hausmusiker“ damals diese Stücke auch nur annähernd so fingerfertig hingekriegt haben? Die Verleger und ihre Tonsetzer werden wohl gewusst haben, welches Niveau sie voraussetzen durften – sie waren ja auf hohe Verkaufszahlen aus.

Mit dem „Vogelfänger“ wird man in diese Werkfolge hineingezogen – und mit dem Rondo alla turca (hier heißt es „Allegro alla Turca“) hinausgeleitet. Spätestens da wird klar, wie sorgsam die beiden Interpreten mit den Tempi umgehen. Wo Pianisten gerne in die Rasanz und Schlagkraft flüchten, auf alten Klavieren gar den Janitscharenzug aktivieren, bleiben die Geiger in einem fast behutsamen Allegretto, und das ist nicht zum Nachteil dieses Satzes. Mozart jedenfalls für ziemlich geräumige Westentaschen, wenn man das Motto der CD wörtlich nimmt.

Pocket Mozart. Florian Deuter, Mónica Waisman (Violine). Accent ACC 24380