Bahnbrecher der Moderne

CD-KRITIK / KONTINENT EDGARD VARÈSE

01/07/11 Beim Zeitfluss 93 war er schon einmal mit vertreten gewesen. 2009 widmeten die Salzburger Festspiele dem in den vornehmlich USA tätig gewesenen Franzosen einen ganzen „Kontinent“. Ausschnitte aus verschiedenen damaligen Konzerten liegen nun als Live-Dokumente vor.

Von Horst Reischenböck

„Octandre“ und „Intégrales“, 1923 bzw. 1924 entstanden, beide damals vom Klangforum Wien, geleitet von Beat Furrer und ein Jahr danach, 1994, auf col legno WWE 1CD 31872 veröffentlicht, sind leider nicht mehr greifbar. Im diesjährigen Festspielgeschehen wird sich Edgard Varèse nur durchs Hintertürl als klingender Bestandteil der CONTINU-Choreografie am 7. August in der Felsenreitschule gleichsam mit „einschleichen“.

So ist es doppelt begrüßenswert, dass sich das Label col legno wiederum darüber traut, sich in einer jüngst veröffentlichen CD nun als Kompilation aus einem Kleeblatt an Konzerten ausschließlich Varèses Schaffen zu widmen. Alles Aufnahmen des ORF Landesstudio Salzburg, dessen Technik an den nicht immer akustisch unproblematischen Spielorten diesbezüglich auch ein Extralob verdient.

Primär von den Spezialisten des in Frankfurt / Main beheimateten Ensemble Modern Orchestra verantwortet, dirigiert von François-Xavier Roth, wird so ein Wiederhören der „Offrandes“ mit Julie Moffat, Sopran, geboten. Dazu „Hyperism“ und „Ecturial“ mit Bass Otto Katzameier, der auch heuer wieder bei den Festspielen gastiert.

Noch spannender als die beiden einander gegenüber gestellten Aufnahmen von „Intégrales“ sind die beiden Interpretationen der berühmten, bahnbrechenden „Ionisation“ von 1929-31. Es ist die erste reine Schlagwerkkomposition der Musikgeschichte. Gleich zum Einstieg hört man Martin Grubinger mit seinem, von Vater Grubinger geleiteten, „The Percussive Planet Ensemble“ und wird mitgerissen vom fast schon fetzig temperamentvollem Drive. Als Gegenstück zum Schluss dann die Sichtweise des Ensemble Modern Orchestra, die eher auf strukturelle Durchsichtigkeit abzielt.

Und noch ein Varèse-Klassiker: die 25 minütigen „Amériques“ (1918-21/1927), ausgeführt vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien, dem damals noch Bertrand de Billy als Chef vorstand. Auch das ein Mitschnitt, der dazu angetan ist, diese CD als eindeutig Referenz zu klassifizieren und zu empfehlen.

Kontinent Varèse. Reihe Salzburger festspieldokumente. The Percussive Planet, Martin Grubinger; Ensemble Modern Orchestra, François-Xavier Roth; ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Bertrand de Billy. col legno WWE 1CD 20295  - www.col-legno.com