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Frauenpower

CD-KRITIK / HILDEGARD VON BINGEN

23.02.2010 Sie ist für viele und vieles gut: Theologen schätzen sie als Mystikerin, die Esoterik holt sich aus ihren Schriften so manchen heißen Tipp für die Betreuung des Heimgärtleins oder für das Ziehen von Heilpflanzen. Und obendrein ist Hildegard von Bingen die erste namentlich bekannte Komponistin.

Von Reinhard Kriechbaum

Die 69 Texte mit Melodien, die unter dem Titel "Symphonia armonie celestium revelationum" (Symphonie der Harmonie der himmlischen Erscheinungen) auf uns gekommen sind, sichern der heiligen Hildegard einen unverrückbaren Platz in der Musikgeschichte.

Das Besondere dieser Musik erschließt sich auch auf dieser CD, für die Maria Jonas Stücke zu einer Marienvesper destilliert hat, vom ersten gesungen Ton weg. Der geradezu unglaubliche Umfang mancher Melismen spiegelt nicht zuletzt, dass Hildegard von Bingen als eigentlich "indocta" (so ihr Selbstverständnis) über eine von keiner falschen Gelehrsamkeit eingeschränkte Kreativität verfügte. Wenn es da in einer der marianischen Antiphonen heißt "serenum decus solis", also "Heit're Strahlenzier der Sonne", dann war das für sie ein Ausgangspunkt für Tonkaskaden, die in der Musik der Zeit ihresgleichen suchen und die Unendlichkeit des Lichtflusses so recht bildhaft machen.

Die Damen von Ars Choralis Coeln haben die Disziplin, ihrer Leiterin bei allen expressiven Spannungen und vor allem im so feinen wie freien rhythmischen Fluss zu folgen. Da können die Fiorituren mal abtauchen in tiefere Samtlagen oder sich silbrig in der Höhe ausbreiten - die Homogenität und die Gleichgestimmtheit fordert schon handwerklich allerhöchsten Respekt. Frauenpower also nicht nur von kompositorischer und inhaltlich-theologischer Seite!

Wer die Musik Hildegards heute umsetzt, muss freilich auch jenen etwas bieten, die sich aus der esoterischen Ecke herüber zur Musik tasten. Wenn es ans Psalmodieren geht, dann erlaubt man sich gar viele zierliche Glöckchentönchen. Wenn sich solcher Brauch auch aus vereinzelten Bild- oder Textüberlieferungen ableiten lässt: Es nervt, wenn's zur Regel wird.

Immer wieder mal liegen bleibende Instrumentaltöne, (Fidel, Block- oder Traversflöte, Portativ), kleine improvisierte Vorspiele über den jeweiligen Melodieanfang, aus dem sich dann die Gesangsstimmen lösen - das ist zwanglos gemacht und verhindert, dass die Ohren zu sehr eingelullt werden vom immer gleichen Klang. Das Hallige in der Aufnahmetechnik dürfte ein Zugeständnis an die unverbesserlichen Esoteriker unter den Zuhörern sein. Im Verlauf der Vespergesänge wird die instrumentale Verdickung zunehmend aufdringlich (und die Textverständlichkeit nicht besser). Sofern man dann nicht vorschnell auf den Aus-Knopf drückt, gibt es noch eine Überraschung: ein auf dem Cover nicht angeführter Track 21 mit sechseinhalb Minuten Schwabbel-Vokalisen zum Träumen. Eine kontraproduktive Zugabe.

Hildegard von Bingen (1098-1179): In Festis Beatae Mariae Virginis/Marienvesper. Ars Choralis Coeln, Ltg. Maria Jonas. edition raumklang RK 2806 (www.raumklang.de)

 

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