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Die Taizé-Gesänge aus alter Zeit

CD-KRITIK / DIALOGI CON L‘ANGELO

01/10/14 „Um Frauen, in die man verliebt ist, mit Gesang zu buhlen, zu spaßen sogar am heiligen Ort, mit den Augen zu verschlingen, die dir zuhören und für die du in unzüchtiger Liebe entbrannt bist…“: Der Engel sagt’s ihm ordentlich rein, dem Musiker.

Von Reinhard Kriechbaum    

Keine Sorge, der gute Mann lernt am Ende seine Lektion, ebenso wie in anderen „Dialoghi con l’Angelo“ die meist etwas zaghaft um den rechten Weg anfragende „Anima“. Und die echt Bösen – „Il mondo“ (die Welt), „Il carne“ (das Fleisch) oder gar der Teufel persönlich, der akustisch mit Posaunenverstärkung daher kommt – haben in den so lehrreichen wie volkstümlichen Gesängen das Nachsehen.

Eine eigenartige Musik: Francesco Ratis war ein Priester-Komponist in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In Norditalien, unmittelbar an der Schweizer Grenze, im gebirgigen Ort Chiavenna (Cleven) war er tätig. Seine „Dialoghi“, in denen die fromme Seele nach Engelsworten heischt, um sich gegen den sündigen Leib/Geist zu wappnen, sind konzertante Mini-Opern im monodischen Stil. Francesco Ratis hat obendrein einen ganzen Haufen nicht minder populärer mehrstimmiger Gesänge geschrieben, geistliche Manufakturen auf die Gassenhauer der Zeit. Man denkt da unwillkürlich an die siebziger Jahre, als in die Kirchen das Neue Geistliche Lied (unterdessen eine Gattungsbezeichnung) eingebrochen ist. Oder an die Taizé-Gesänge.

Die Musik des Francesco Ratis ist genau so etwas: angewandte tönende Glaubensverführung. Chiavenna mag das Taizé dieser Epoche gewesen sein. „Fuggi, fuggi, fuggi dal Mondo bugiardo“ (Fort, fort, fort aus der trügerischen Welt) – dorthin läuft der Hase, religionspädagogisch gesehen.

Und musikalisch? Es ist, überspitzt formuliert, eine Baukastenmusik aus beliebten Floskeln. Jede Melodie eine Sprosse auf der Himmelsleiter. Oft sind drei Vokalstimmen plus Spanischer Gitarre als Continuoinstrument gefragt, aber die unteren beiden Vokalstimmen können auch wegbleiben und/oder verschiedenen Instrumenten anvertraut werden. Die Wirkung hing damals so wie heute von der Tüchtigkeit und dem musikantischen Verve der Ausführenden ab. In diesem Fall bricht unter der Gesamtleitung des Gitarristen Michael Dücker das große, um nicht zu sagen hemmungslose Zupfen aus (Harfe, Psalter, Theorbe, Laute, Cembalo). Es wird effektvoll rhythmisiert, gerne mit der Schellentrommel. Violine und Lirone hört man schon auch manchmal heraus. In den vier „Dialoghos“ ist Cornelia Samuelis ein sehr bestimmt argumentierender Engel. Chiyuki Okamura darf als Seele den Läuterungsweg beschreiten und dabei auch stets vokal an Festigkeit zulegen. Franz Vitzthum (Countertenor), Christian Dietz (Tenor) und Yorck Felix Sperr sind die anderen Solostimmen, von der Welt bis zum „Demonio“.

Das ist stilkundig gemacht, und die ganze Truppe legt immer ein wenig mehr an Volkstümlichkeit drauf, als der Musik gut tut – aber wahrscheinlich ist die ja genau für diese missionarische Emsigkeit genau so robust gemacht, wie sie ist.

Francesco Ratis: Dialoghi con l´Angelo. Dramatic cantatas & popular songs (1657). Nuovo Aspetto, Ltg. Michael Dücker. Accent ACC 24290 - www.nuovoaspetto.de

 

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