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Temperament und Raffinesse

MOZARTEUMORCHESTER / SONNTAGSMATINEE

02/03/20 Das Violinkonzert von Fazil Say spendete das Motto Tausendundeine Nacht im Harem. Ansonsten ging es – einschließlich des Dirigenten Andrei Boreiko – vor allem russisch her bei der Sonntags-Matinee des Mozarteumorchesters im Großen Festspielhaus.

Von Erhard Petzel

Bei diesem Programm dürfen sich die Bläser in ausgesetzten Passagen so richtig ins Zeug legen: Das wurde schon im Auftakt mit Alexander Borodins Polowetzer Tänzen überdeutlich. Gleich zu Beginn übernimmt das Holz in fein austarierter Klangintensität die Führung in die Bewegungen, die für das Ballett aus der unvollendeten Oper Fürst Igor zusammengestellt wurden. Später wird das russophile Idiom von Klarinette und Flöte mit Fagottbegleitung angeführt, bis im Zentrum des Aufruhrs die große Trommel mit dem tiefen Blech gemeinsame Sache macht. Während die Streicher im Pizzicato emsig ihre Viertongruppen runterklopfen, wurlen abstruse Holzsignale hoch, bis das Blech den Schluss mit abgründigen Furzen einleitet.

Andrei Boreiko heizt die Musiker nicht zum unkontrollierten Überschwang ein. Er hält die Tempi in relativ gemessener Zurückhaltung und lässt ein Losplärren der Register nicht zu. Manchmal wünscht man sich sogar eine Spur mehr Aufregung; das Englischhorn hätte doch etwas mehr hervortreten dürfen.

iese Kontrolliertheit kommt dann Sergei Prokofjews Symphonie Nr. 5 B-Dur op. 100 zugute: Unter den Voraussetzungen eines sowjetischen Kunstbetriebs zur Wende im Großen Vaterländischen Krieg bekommt jede Äußerung einen mehrfachen Bedeutungsboden. Auch im Andante des ersten Satzes leitet das Holz über einen dauerhaft weitergeführten Blechbass ein. Aus dem Seitenthema von Flöte und Oboe baut sich ein jubelnder Choral auf mit Trompetenakzenten. Dieser Jubel mit Registerkontrapunkten wiederholt sich nach einem Aufbau aus den tiefen Streichern. Die Grundstimmung ist aber aufgrund des verschraubten Themas beklemmend. Ein Schlusskondukt saugt in einen unermesslichen Raum der Klangtiefe tiefer Klänge.

Das Allegro marcato gibt sich folkloristisch motiviert und genießt die Eleganz der Ausführung in der feinen Registerarbeit, der Agogik und der sensiblen Charakteristik der unterschiedlichen Bewegungen bis zum fulminanten Finale. Das gemessene Adagio und das rezitativisch eingeleitete Allegro giocoso wiederholen die Gemütslage der beiden vorderen Sätze und vollenden das wirkungsvolle Ganze ohne falschen Pomp, dem die Klangdisziplin des Mozarteumorchesters entgegensteht, den begeisterten Beifall des Publikums fordernd.

Im Zentrum des der Matinee am Sonntag (1.3.) stand das Violinkonzert 1001 Nights In The Harem op. 25 von Fazil Say. Der Pianist und Komponist liebt programmatische Hintergründe für sein Werk, sodass Solistin Leticia Moreno als Scheherezade ihre Violine durchgehend kommunizieren lässt. Die vier Konzertsätze sind nicht streng voneinander getrennt und in ihren Binnenbewegungen differenziert. Sodass ein zusammenhängendes Ganzes im Wechsel von Auf- und Abschwüngen mit plötzlichen Brüchen und Violinsoli die Frage nach der programmatischen Umgebung der Sätze nicht sonderlich in den Fokus rückt. Den großen Bewegungen liegen meist kleinstrukturierte Ostinati im akkumulierenden Aufbau und im Call and Response-Gestus zugrunde.

Den Grenzbereich zum Banalen nicht scheuend, sind die Klangraffinesse der Register, die Ensemblebildungen und die Interaktion zwischen Solovioline und Orchester überraschend und anregend. Auch pfeift immer eine delikate Dissonanz rechtzeitig in den Wohlklang. Jedenfalls kann Moreno nicht nur im osmanischen Klangwesen aufgehen und mit großem Impuls dramatische und innige Emotionen vermitteln. Es gibt Pianissimi für die Leute aus dem Publikum, die die Quarantänegefahr ihrer Lungenäußerungen in diesen Zeiten unterschätzen, und Pausen für die wenigen, die noch Handysolos einzubauen wissen. Der zweite Solist auf der orientalischen Percussion darf zwar auf der Rampe sitzen und sich verbeugen, zu Programmheft-Ehren kommt er trotz tragender Bedeutung nicht. Möge ihn der Bravo-Sturm entschädigen.

Bilder: MOS / Archiv Künstler; Omar Ayyashi

 

 

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