Der Mozart vom Dachboden

NOTENFUND

23/03/12 Jedem einzelnen der 84 Takte gebührt die volle Aufmerksamkeit der Musikwelt – ist das Allegro molto in C-Dur doch ein bislang unbekanntes Klavierstück des elfjährigen Mozart. Die Stiftung Mozarteum hat der Welt einen „neuen Mozart“ präsentiert.

Von Heidemarie Klabacher

Ein „neuer“ Mozart erklingt an einem authentischen Schauplatz auf Mozarts originalem Hammerflügel in Salzburg: eine Sternstunde für die Mozartforschung. Wolfgang Birsak hat das flott dahinperlende Allegro Molto C-Dur vorgestellt.

Gefunden hat das Stück freilich eine Musikwissenschaftlerin in Tirol. - „Wie findet man einen neuen Mozart?“ Diese Frage sei ihr in den letzten Wochen immer wieder gestellt worden, erzählt Hildegard Herrmann-Schneider. Sie hat den Sensationsfund gemacht. „Umsicht allein reicht nicht. Dazu gehört auch eine gehörige Menge Glück“.

Im Tiroler Lechtal sei unlängst der Dachboden eines Privathauses geräumt worden, berichtete Hildegard Herrmann-Schneider heute Freitag (23.3.) bei der Präsentation im Tanzmeistersaal. Dabei sei „die vollkommen in Vergessenheit geratene Notensammlung aus dem Nachlass eines Tiroler Blaskapellmeisters, Kirchenchorleiters, Organisten und Schuldirektors im Außerfern“ zum Vorschein gekommen.

Was hatte die international renommierte Expertin für historische Musikalienbestände also vor sich liegen? „Einen interessanten Fundus von mehreren hundert Musikhandschriften und Musikdrucken verschiedenster Musikgattungen vom späten 18. Jahrhundert bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts.“ Sofort aufgefallen sei ihr darunter ein 160 Seiten starkes Klavierbuch, „das vorne die Datierung ‚Sterzing 1780’ trägt“.

altAll das habe zunächst noch zum musikwissenschaftlichen „Arbeitsalltag in Tirol“ gehört, berichtete Hildegard Herrmann-Schneider. Doch dieses Klavierbuch hatte es in sich: unter anderem eben ein bislang unbekanntes Klavierstück, „das ausdrücklich dem jungen ‚Wolfgango Mozart’ zugeschrieben ist“. Im Rahmen ihrer Arbeiten in Tirol, Südtirol und der Franziskanerprovinz Austria für das RISM (Répertoire International des Sources Musicales/Internationales Quellenlexikon der Musik) machte sich Hildegard Herrmann-Schneider an die wissenschaftliche Katalogisierung des Klavierbuchs „Sterzing 1780“.

130 Klavierstücke wurden nach wissenschaftlichen Kriterien katalogisiert. Was heißt das? „Ein angegebener Verfasser wird auf seine Richtigkeit methodisch exakt überprüft. Für jedes anonyme Stück wird zumindest der Versuch einer Identifizierung des Komponisten unternommen.“ Das allein bringe oft schon überraschende Ergebnisse, so die Musikwissenschaftlerin. Auf den Seiten 12 bis 14 stehe das Stück mit der Tempobezeichnung „Allegro molto“ und der Verfasserangabe „Del Signore Giovane Wolfgango Mozart“ – also „vom jungen Herrn Wolfgang Mozart“.

Kann das stimmen? Unmittelbar nach dem Allegro molto kämen in der Handschrift „zweifelsfrei echte Stücke von Wolfgang Amadés Vater Leopold“, berichtet die Expertin: „Bei ihnen wird der Autor konsequent und richtig vorgestellt mit ‚Del Signore Mozart’.“ Daraus lasse sich schließen: „Wenn in derselben Quelle der Vater immer richtig mit ‚Signore Mozart’ bezeichnet wird, warum soll dann der Sohn, der ein einziges Mal hier vorkommt, nicht angemessen mit dem Attribut Junior (giovane) unterschieden werden?“

Zudem habe Leopold Mozart die Namensform „Wolfgango“ immer dann verwendet, wenn er den jungen Mozart als Komponisten angegeben hat, wie etwa bei den Menuetten KV 4 und KV 6 oder auf dem Titelblatt des Londoner Skizzenbuchs 1764.

altAber wer hat nun das „neue“ Mozartstück feinsäuberlich abgeschrieben, auf dass es Anno 2011 auf einem Tiroler Dachboden gefunden werde? „Auf der Rückseite des Umschlagblatts der Handschrift hat sich in einem langen lateinischen Vermerk ihr Schreiber mit seinem Namen verewigt und eine Datierung beigefügt: Johannes Reiserer, Sterzing (Südtirol) 1780.“

Wer war das? Kann er tatsächlich irgendwo ein echtes Stück von Wolfgang Amadé Mozart abgeschrieben haben? Ein forschungstechnisch aufwändiger Weg habe sie über Archive in Sterzing und Bozen schließlich nach Salzburg und München geführt, berichtet Hildegard Herrmann-Schneider. Das Resümee aus ihren umfangreichen Untersuchungen: „Johannes Reiserer, geboren 1765 in Rattenberg/Tirol als Sohn eines Arztes, später Augustiner Chorherr, besuchte erfolgreich das Universitätsgymnasium in Salzburg und war 1778 bis 1780 auch Kapellknabe in Salzburg.“ Seine Abschrift könne um 1779 „im Zuge des intensiven Musikunterrichts im Kapellhaus, damit unmittelbar im Umfeld Leopold Mozarts“ entstanden sein. Ein Schüler also, ein Gymnasiast, hat Werke verschiedener Komponisten zu Übungszwecken abgeschrieben, „unter strenger fachlicher Aufsicht, vielleicht sogar der von Leopold Mozart selbst“.

Und das Stück selber? Entstanden sein dürfte das 84 Takte umfassende Allegro in C-Dur um 1767, „als Mozart ein Alter von etwa elf Jahren hatte“. Themenbildung, Satztechnik und Harmonik kämen auch in anderen Mozart-Klavierwerken vor, es müsse sich somit um „einen echten Sonatensatz von Wolfgang Amadé Mozart handeln“.

Die komplette ehemals private Notensammlung aus dem Tiroler Lechtal wurde 2011 mit Unterstützung der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung vom Museum Grünes Haus  in Reutte/Tirol angekauft. Alle Titel sind zugänglich unter www.rism.info. Ab morgen Samstag (24.3.) ist die erste Einspielung des neuen Mozart Stücks mit Florian Birsak am originalen Mozart Hammerklavier nachzuhören auf der Website der Stiftung Mozarteum unter allegro.mozarteum.at.
Bilder: ISM/Wolfgang Lienbacher