Wie die Alten sungen...

ASPEKTE FESTIVAL

14/05/12 „die reihe“ ist wohl das Wienerischste unter den Neue Musik-Ensembles, kein Wunder bei den Gründervätern Friedrich Cerha und Kurt Schwertsik. Unter der ebenso subtilen wie dynamischen Leitung von Oswald Sallaberger klang „die reihe“ beim Aspekte-Konzert wie die Zeitgenössische Musik-Abordnung der Wiener Philharmoniker.

Von Heidemarie Klabacher

Diese Qualitäten kamen am Samstag (12.5.) unter der Leitung von Oswald Sallaberger im zweiten Konzert des Aspekte-Abends nicht nur Webern und Schönberg, also den Klassikern, zugute, sondern auch den Uraufführungswerken von Jakob Gruchmann und Klemens Vereno.

Oswald Sallaberger ist ein erz-musikantischer Dirigent, ein Zauberer der großen Geste und des vollen Klanges, der zugleich scharf analysierend die musikalische Gedanken sinnfällig ineinander überzuführen weiß. Anton Weberns „Konzert für neun Instrumente“ war seinerzeit richtungsweisend für die zeitgenössische Musik. Wie nun die Musikerinnen und Musiker des Ensembles „die reihe“ etwa gleiche Töne von Instrument zu Instrument weitergeben und dabei die Klangfarben bis zur Verschmelzung einander anzugleichen vermögen – das war einzigartig. Wie einen großen Gesang haben Ensemble und Dirigent im op. 24 den Satz „Sehr langsam“ gestaltet.

Die erste Kammersymphonie von Arnold Schönberg war der mitreißend dynamisch und zugleich elegisch klangsinnlich musizierte Höhepunkt des Konzerts, dem zwei Uraufführungen vorangingen. Klemens Vereno hat für die Aspekte fünf weit ausgreifende opulente Szenen für Kammerensemble geschrieben, die das Ensemble „die reihe“ mit engagierter Spiellust der Aufmerksamkeit des Publkums anzuempfehlen verstand. Der junge Salzburger Komponist Jakob Gruchmann, Jahrgang 1991, hat schon als Kind komponiert und als Jugendlicher erste Werke vorgelegt. Als Auftragswerk der Aspekte wurde am Samstag sein Stück „Windwanderer“ uraufgeführt.

Die in den Strophen von Georg Trakls Gedicht „Am Moor“ vermittelte Atmosphäre sei ausschlaggebend gewesen für die Grundstimmung der drei Sätze, so der Komponist über sein Werk. Jakob Gruchmann entwickelt weitab plakativer „Programme“ intensive Bilder der Unruhe, des Innehaltens, des Irrens und Suchens. So scheint etwa die Klarinette im ersten Teil für Augenblick ein Innehalten der unruhigen, beunruhigten Motive zu erwirken – und schon scheint im nächsten Moment ein Cluster wie Nebel aufzusteigen. Töne wie Tropfen eröffnen den zweiten Teil, geraten quasi unterschwellig immer stärker in Bewegung. Trotz der immer abgründiger sich gebärdenden Dynamik – inklusive wilder Pfiffe der Flöten – wird kein Gespensterreigen daraus, sondern eine berührend packende Musik der verängstigten Seele. Rondoartig ist der dritte Teil, ein klagendes Lied der Oboe, das wie ein großer Nachgesang verhallt. Jakob Gruchmann studiert derzeit an der Universität Mozarteum bei Ernst Ludwig Leitner und Alexander Müllenbach. Das Ensemblestück „Windwanderer“ macht neugierig auf die weiteren Schritte der künstlerischen Entwicklung des jungen Salzburger Komponisten.

Nun vom Jüngsten zum Ältesten - und zum ersten Konzert des Aspekte-Samstags. Gerhard Wimberger hat Rilke vertont – und sein Publikum begeistert. Das Besondere: Der Salzburger Großmeister hat sich den gleichen Rilke-Text vorgenommen, den Anton Webern unter op. 8 als „Zwei Lieder nach Gedichten von Rainer Maria Rilke“ vorgelegt hat. Er sei nicht ganz einverstanden damit gewesen, wie Webern den Rilke-Text vertont hat, sagte Gerhard Wimberer am Rande des Konzertes zu DrehPunktKultur. Er habe noch mehr am Text bleiben, dem Text (der einst nur durch einen Satzfehler in zwei Teile geteilt worden sei) noch mehr Gewicht geben und einfach ein „schönes“ Lied komponieren wollen. Das ist dem Meister gelungen.

Uraufgeführt haben Wimbergers Rilke-Lied aus den „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ das „Ensemble Acrobat“ unter der Leitung von Carlos Chamorro-Moreno und Wolfgang Holzmair, der mit seinem wie immer klar und präzise geführten Bariton den Solitär zum Klingen und Strahlen brachte. Tatsächlich hat haben Wimberger/Holzmair die vergeistigte Liebeserklärung dem Hörer näher gebracht, als der strenge formal distanzierte Zugang Weberns.

Nicht nur Wimberger hat sich der „Inspiration Webern“ ergeben. Insgesamt sechs Komponistinnen und Komponisten – Herbert Grassl, Johannes Kotschy, Agustin Castilla-Avila, Sebastiana Ierna, Wolfgang Danzmayr und Johannes Krall – haben sich im Auftrag der Aspekte mit Weberns Rilke-Liedern befasst und sich dadurch zu Vokal- oder Instrumentalkompositionen anregen lassen. Die Vokalparts waren der Sopranistin Silvia Spinnato und der Mezzosopranistin Bernadette Furch anvertraut.