MOZARTEUMORCHESTER / MATINEE
16/06/25 Eigentlich war Richard Strauss allein geplant gewesen. Die Geschehnisse diese Woche veranlassten Chefdirigent Roberto Gonzáles-Monjas jedoch, zum Gedenken an die Opfer des Amoklaufs das Nimrod-Adagio aus Sir Edward Elgars Enigma-Variations voran zu stellen, bevor sich am Sonntagvormittag (15.6.) Pianist Kirill Gerstein vollgriffig in die Tastatur des Steinway versenkte.
Von Horst Reischenböck
Mit der Burleske in d-moll op. 11 legte Strauss das Genre Konzert nach zwei Jugendwerken (für Violine bzw. Horn) für längere Zeit ad acta. Die einsätzige Burleske ist ein genial eigenständiges, virtuoses Werk, das aus dem Dialog von Pauke und Flügel heraus entwickelt wird und an das Können des Solisten spieltechnisch appelliert. So etwas hat in dieser Form kein Komponistenkollege erdacht.
Kirill Gerstein ließ keine Wünsche offen, zündete abwechslungsreich und präzise das geforderte brillante Feuerwerk. Dazu im Kontrast die lyrisch in sich versunkenen Momente, mit denen der Solist die Ausführenden wie die Hörer zu gedanklichem Innehalten anregte. Dementsprechend bejubelt, reichte Gerstein im Alleingang noch einen genauso spritzigen Chopin-Walzer nach.
Nach der Pause versenkten sich das Mozarteumorchester und Roberto Gonzáles-Monjas genauso leidenschaftlich in Strauss' ausufernd und schier überdimensional besetztes Klangfresko Eine Alpensinfonie op. 64. Das Große Festspielhaus lieferte den idealen Luftraum, um das in zweiundzwanzig vielfältige Episoden aufgesplitterte Werk von fünfzig Minuten Dauer voll zur Wirkung kommen zu lassen.
Wie in einer absteigenden Tonskala zum Ausdruck gebracht, sollte die 1915 uraufgeführte Alpensinfonie auch ein Abschieds von dem noch vor 1900 verstorbenen Schweizer Maler Karl Stauffer sein. Ursprünglich war das Stück ja als Künstlertragödie bezeichnet und meinte das Schaffen bis zum Tod. Dann wurde freilich über philosophisches Gedankengut in Anspielung auf Friedrich Nietzsches Buch Der Antchrist, eine polemische Abrechnung mit dem Christentum, eine ausgedehnte und detaillierte Schilderung des Aufstiegs auf einen Berg daraus.
Strauss war selbst oft bergwärts unterwegs. Auf den Heimgarten oder die Zugspitze nahe seinem späteren Wohnsitz Garmisch oder, in Begleitung Hugo von Hofmannsthals, auf den Loser nahe dem steirischen Altaussee. Beide Orte reklamieren für sich, Ausgangspunkt dieses musikalischen Gipfelsturms gewesen zu sein. Egal von wo – es geht mit kompositorisch energischen Schritten vorwärts, die eigentlich ein baldiges Ausrasten Rast bewirken müssten.
Wenig geläufig: Richard Strauss fand Anregung beim mittlerweile kaum mehr bekannten böhmischen Kollegen Vítĕzslav Novák, der schon 1902 in einer nur halb so langen spätromantischen Tondichtung V Tatrách op. 26 (Auf dem Tatra) aufkommenden Sturm am Höhenrücken schilderte. Um solches sinnlich auszukosten, bemühte Strauss Windmaschine und blechernen Donner, weitere Anleihen zog er auch aus dem unvollendeten Finale von Anton Bruckners Neunter (Strauss besaß eine Originalseite). Genauso berührte ihn hörbar Max Bruchs Ohrwurm, das Violinkonzert Nr. 1 – was soll’s?
Kuhglocken gehörten nach Strauss saftig ausufernder Meinung genauso wie für Gustav Mahler zur Naturschilderung. Auch ein Dutzend zusätzlich hinter Bühne postierte, herein schallende Jagd-Bläser. Wobei alle Instrumente in Händen aus Reihen des Mozarteumorchesters unter González-Monjas befügelnder Leitung ihr Können voll differenziert aufblühten. Getragen vom sonoren Klang der Streicher, aus denen nur gegen Ende der Organist aufmunternd abstach. Vielleicht auch im Sinne von Freigeist Strauss, um sakrale Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Wirkungsvoll, einmal mehr ein eindeutig Maßstab setzender Erfolg! Schließlich blieb Roberto Gonzáles-Monjas noch, sich coram publico von einem Kleeblatt an Orchester-Mitgliedern zu verabschieden. Der an Bruckner gemahnende Feierliche Einmarsch der Ritter des Johanniterordens, 1909 von Strauss für fünfzehn Trompeten, je vier Hörner, Posaunen sowie zwei Tuben und Pauken gesetzt, rührte selbst den lang gedienten Konzertmeister Markus Tomasi zu Tränen.
Bilder: Mozarteumorchester / Marco Borggreve (1)