Der traumatisierte Kriegsheimkehrer

MÜNCHEN / OTELLO

07/12/18 Dass Otello nach heute aktuellem Stand nicht mehr der Mohr sein darf, fällt nicht sosehr ins Gewicht. Aber dass Amélie Niermeyers Münchner Otello ein müder Kriegsheimkehrer ist, ein einfacher Soldat, der Kampfgeist, Leidenschaft und Feuer eingebüßt hat und zum unberechenbaren Traumatisierten geworden ist, gibt dem Stück ein eigenwilliges Gesicht.

Von Elisabeth Aumiller

Boito/Verdis Mohr von Venedig ist in der neuen Produktion von Verdis Otello also nicht mehr der ruhmreiche Sieger, der vom Volk im großen Stil bejubelt wird und am Ende zum Mörder wird, weil er die private Niederlage der vermeintlichen Untreue Desdemonas nicht ertragen kann.

Beim Eintreten durch die Schlafzimmertür wird das „Esultate“ zum privaten Statement und selbst der Liebe Desdemonas kann der geschwächte Mann kaum eine Reaktion entgegenbringen. Erst beim Mord an ihr und der eigenen Tötung lodert sein Agressionspotenzial und seine Emotionalität auf. Stets präsentes Requisit ist das Bett, auf dem sich die dramatischen Höhepunkte abspulen, etwa wenn Jago mit Otello ringt, ihm die Traumerzählung einträufelt oder Desdemona mit der Blumengabe der Zyprioten darin „aufbahrt“ und somit ihren späteren Tod vorankündigt. Zuletzt bleibt Otello am leeren Bett vor dem eigenen Hinscheiden als Fantasie die reuige Betrachtung Desdemonas, nachdem über die am Boden Ermordete bereits ein schwarzer Vorhang gefallen ist.

Man muss die Psychologie der Regisseurin Amélie Niermeyer mögen, um sich von ihrem konsequenten Konzept überzeugen lassen zu können. Sie entwickelte einen Beziehungskrimi aus heutiger Sicht im Kammerspielformat, was allerdings der Größe der Musik nicht wirklich adäquat ist. Szenisch spielte die Handlung in wechselnden kleineren, größeren, ineinander geschachtelten oder projizierten Innenräumen von strengliniger Architektur (Bühne Christian Schmitt).

Jonas Kaufmanns Otello passt sich in Ausdruck, Haltung und Erscheinung dem Konzept der Regisseurin so vollständig an, dass sein Auftritt von vorneherein Vergleiche ausschließt. Seine stimmlichen Möglichkeiten schöpft er klug kalkuliert aus, spielt mit hauchzarten Piano-Varianten und steigert sich im zweiten Teil zu manch dramatischem Höhepunkt mit Leuchtkraft. Die Desdemona von Anja Harteros ist durch stete Anwesenheit der Angelpunkt, um den sich das Geschehen dreht. Sie singt zwar die Worte der jungen Naiven, der bedingungslos Liebenden, ist in ihrer Haltung jedoch die starke Frau, die energisch das Sagen haben möchte. Voller Wohllaut sind ihre Piani, betörend das „Weidelied“ und das Ave Maria im letzten Akt. Kraftvoll trumpft sie auf in den dramatischen Momenten, wobei sich jedoch vereinzelte Härten in die Stimmfarbe einschleichen.

Ein Ereignis ist Gerald Finleys Jago. Er ist nicht der grob draufgängerische Bösewicht, sondern ein gewiefter Schmeichler, in seiner abgefeimten Hinterlist umso gefährlicher, je subtiler und vielseitiger er seine Fäden zieht und mit Raffinement die anderen zu Übeltätern macht. So sehr aus dem Wort gestaltet, so voller Nuancen und Farben im Ausdruck, so baritonal klangvoll ohne Forcieren und dabei pointiert artikulierend und phrasierend hat man lange keinen Jago gehört. Die Besetzung der kleineren Rollen, allen voran der Cassio von Evan Leroy Johnson und die Emilia von Rachel Wilson, ist passend gewählt.

Kirill Petrenko am Pult des Bayerischen Staatsorchesters trägt seine Sänger auf Händen, lässt die Partitur vielschichtig zünden, vom gewaltigen Auftrumpfen bis zur filigran transparenten Finesse. Minutiös formt er jedes orchestrale Detail, macht den Orkan am Beginn zum beängstigenden Weltuntergangsfurioso und im Gegenzug unterstützt er die Sänger in den lyrischen Momenten mit kammermusikalischer Feinsinnigkeit und Transparenz.

Weitere Aufführungen am 10., 15. und 21. Dezember sowie am 12. und 15. Juli 2019 – www.staatsoper.de
Bilder: Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl