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Salzburg in Drohobytsch

HINTERGRUND / KULTURAUSTAUSCH

16/05/19 Drohobytsch. Das ist einer jener Orte vermeintlich ganz, ganz weit weg, wo man sich als Österreicher trotzdem irgendwie daheim fühlt. Zumindest (noch) in den gründerzeitlichen Straßenzügen. Im kleinsten Maßstab ähnelt der Ort dem eine gute Auto-Stunde entfernten Lemberg (Lviv).

Von Reinhard Kriechbaum

Vor vielen, vielen Jahren, es war bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, hat der Schreiber dieser Zeilen als Individualreisender den Weg in diese ukrainische Kleinstadt (etwa halb so groß wie Salzburg) gesucht, wegen dreier orthodoxer Holzkirchen, deren Innenwände über und über mit Gemälden verziert sind. Die älteste dieser Kirchen stammt aus dem Jahr 1500.

Das ist der ukrainisch/orthodoke Aspekt der Stadt. Jener der österreichischen Geschichte ist unübersehbar, wenn man einen Blick dafür hat. Fast andertzhalb Jahrhunderte, nämlich von 1772 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, war Drohobytsch Teil des österreichischen Kronlandes Königreich Galizien und Lodomerien. Die Metropole dieser Region war und ist Lemberg, einst die drittgrößte Stadt der österreichischen Monarchie.

Wie so viele Orte in der Ukraine – man denke an Brody, den Geburtsort des Schriftstellers Josef Roth – spielte auch in Drohobytsch die jüdische Schtetl-Kultur eine ganz entscheidende Rolle. In der Zeit der Zugehörigkeit zu Österreich wurde die Choral-Synagoge errichtet (ab 1842), bis 1918 die Zentralsynagoge für das Kronland Galizien. Das Gebäude wurde erst vor wenigen Jahren restauriert.

Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörten rund vierzig Prozent der Stadtbevölkerung der jüdischen Gemeinde an. Anfang Oktober 1942 wurde das Ghetto Drohobytsch mit 10.000 Juden eingerichtet. Nur vierhundert haben überlebt.

In dieser Woche finden zum sechsten Mal in Drohobytsch Österreich-Tage statt. Sie sind diesmal Salzburg gewidmet. Das Land hat zu dem Anlass erstmals zwei Stipendien für Literatur vergeben. „Die Schriftstellerin Petra Nagenkögel und der Autor Christian Lorenz Müller haben die Möglichkeit, in die Lebenswelten der Ukraine einzutauchen und ihre Beobachtungen literarisch niederzuschreiben“, so Kulturreferent Heinrich Schellhorn bei der Eröffnung der Österreich-Tage. Vice versa haben auch bereits einige ukrainische Schreibende hier in Salzburg eine Basis und ein neues Zuhause gefunden. „Die Präsenz ukrainischer Autoren und Autorinnen beim Festival ‚Europa der Muttersprachen‘ im Literaturhaus oder bei der ‚Stefan Zweig Poetik Vorlesung‘ in den vergangenen Jahren machen diese gelungene, gewachsene Vernetzung deutlich“, betonte der Landeshauptmann-Stellvertreter.

Drohobytsch ist eine Woche lang Treffpunkt von Diplomaten, Wissenschaftern, Schriftstellern und Kulturschaffenden aus Österreich, der Ukraine sowie ost- und westeuropäischen Ländern. Die Veranstaltung hat sich in den vergangenen Jahren zu einem internationalen Kulturforum entwickelt. In einer wissenschaftlichen Konferenz, literarischen Treffen, Lesungen und Buchvorstellungen, Kunst- und Fotoausstellungen, Konzerten sowie kulturwissenschaftlichen Diskussionen präsentiert sich Salzburg dabei in seinem charakteristischen Wechselspiel zwischen Kultur und Natur. Andererseits stellt sich auch Galizien als Ort der langjährigen gemeinsamen Geschichte und des mannigfaltigen Kulturerbes vor.

Bilder: Wikipedia / histor. Postkarte (1); Anna Anatolievna (1); Anastasia (1) 

 

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