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Vorbilder im Film und in der Geschichte

MÜNCHEN / SALOME

08/07/19 Krzysztof Warlikowski setzt in seiner Neuinszenierung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele bei den antisemitischen Klischees in Richard Strauss’ Musikdrama an. Marlis Petersen wird vom Publikum gefeiert.

Von Oliver Schneider

Da der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski dem abrupten Beginn mit Narraboths „Wie schön ist die Prinzessin Salome heut’ Nacht“ misstraut, bettet er Salomes jungfräulich-grausame Liebe zum Propheten Jochanaan in eine Rahmenhandlung ein. Er und die Bühnenbildnerin Malgorzata Szczęśniak verorten Richard Strauss’ Musikdrama in einer jüdischen Bibliothek im von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg besetzten Polen. Hierhin flüchten sich die Verfolgten vor ihren Schergen. Doch hier – wie auch andernorts – versuchen die Ausgestoßenen und Vertriebenen ihr bis dahin bürgerliches Leben mit Theater, Musik und Literatur weiterzuführen.

In einem Prolog zu Gustav Mahlers Kindertotenlied „Nun will die Sonn’ so hell aufgeh’n“ mit Kathleen Ferrier als Toneinspielung erleben die in der Bibliothek Versammelten eine Kabarettaufführung, in der einer trauernden Witwe (der verkleidete Narraboth!) von einer Judenkarikatur der letzte Goldschmuck entrissen wird. Die Dispute darüber bleiben nicht aus, wenn die Verfolgten mit solchen Klischees konfrontiert werden. Ideen für diese Szene sammelte Warlikowski in Jospeh Loseys Film Monsieur Klein. Als Spiel erleben „die Juden“ danach Salomes sich zur krankhaften Obsession entwickelnde Begierde nach Jochanaan.

Als Teil einer disputierenden Sabbat-Tischgesellschaft stehen sie selbst wieder im Judenquintett im Zentrum, mit dem der Komponist die Erwartungen seines wilhelminischen Publikums bediente. Damit reiht er sich in eine historische Kette ein, die letztlich im Holocaust ihren traurigen Höhepunkt fand. Warlikowski arbeitet in diesen Momenten bewusst plakativ, während er bei der Schilderung von Salomes perverser Liebe mit dem feinen Pinsel zeichnet. Das fängt schon bei dem hier ebenfalls zum Juden mutierten Hauptmann Narraboth an, der sich in seiner Liebe zu Salome fast zerfrisst. Dass sie nur nach Jochanaan fragt, stört ihn nicht, wenn er ihre Beine und Arme küsst und seinen Kopf in ihren Schoss eingräbt. Pavol Breslik gibt die Rolle mit selten gesehener Intensität, makellos intonierend. Narraboth bleibt nur der Griff zum tödlichen Gift. Genau wie den anderen Verfolgten in der Bibliothek, nach Herodes’ gellendem Ausruf „Man töte dieses Weib“, womit sich auch der Kreis der Rahmenhandlung schließt. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke singt den stiefväterlichen Lüstling mustergültig in Deklamation und Artikulation.

Marlis Petersen gelingt in ihrem Rollendebüt als Salome, ein klares Profil einer willensstarken, doch letztlich psychopathischen Frau zu zeichnen. Stimmlich mit meist mühelos attackierenden Spitzentönen und sehr schönen Piano-Phrasen, während ihre dramatische Durchschlagskraft (noch) entwicklungsfähig ist und der Rücksicht im Graben bedarf. Gleichermaßen Mitleid und Ekel erregend spielt die Petersen die Schlussszene unglaublich ergreifend, wenn ihr in einer Schachtel der Kopf des Jochanaan gebracht wird und sie sich ihrer perversen Liebe im Sieg über den Mann hingibt. Auch für diese Szene gibt es ein filmisches Vorbild in Liliana Cavanis Der Nachtportier.

Den Schleiertanz, den die rachsüchtige Herodias (sehr gut Michaela Schuster) zunächst um jeden Preis verhindern will, choreografierte Claude Bardouil für Salome und den personalisierten Tod (Peter Jolesch). Mühelos leistet Petersen auch diesen Einsatz. In einem Schwimmbad, für das sich die Bibliothek in der Mitte teilt und das auch als Verließ Jochanaans dient. Reales Vorbild dafür ist die von den deutschen Besatzern in ein Hallenschwimmbad umgewandelte Synagoge im heutigen Poznán. Jochanaan ist mit seinen strähnigen Haaren und seinem musikalisch fundierten Fanatismus alles andere als ein Sympathieträger. Auch er gehört hier aber zu den Verfolgten. Wolfgang Koch dreht seinem schweren Bariton wuchtig dröhnend auf, wenn Salome ihn erfolglos auffordert, sie anzublicken.

Dank Kirill Petrenkos sorgsam aushörendem Dirigat leuchtet Strauss’ Partitur in ihrer schillernden Farbigkeit. Wie schon bei seiner Frau ohne Schatten, geht hier keine Phrase im Gesamtklang unter, der trotz Mammutbesetzung nie massiv wirkt. Eruptive Klangentäusserungen beschränken sich auf die orchestralen Zwischenspiele und den Schleiertanz. Insgesamt leistet die neue Münchner Salome einen interessanten, neuen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte von Strauss’ Schlüsselwerk.

Weitere Vorstellungen am 10. Juli, 5., 9. und 13. Oktober – www.staatsoper.de
Bilder: Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl

 

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