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Lwiw, Lwow, Lemberg oder לעמבערג?

HINTERGRUND / UKRAINE / KULTURSCHÄTZE (2)

14/03/22 Mit dem Beschuss einer Militärbasis nahe Lwiw ist der Ukraine-Krieg – begründetes Entsetzen im Westen – unmittelbar an der Grenze zur Nato angekommen. Für kultur- und geschichtsbewusste Menschen: Es gibt nun also Krieg und Zerstörung auch auf einem Gebiet, das lange zur österreichischen Monarchie gehörte.

Von Reinhard Kriechbaum

Es ist ja schade, dass der Nationalstaats-Gedanke wieder so allgegenwärtig und hoffähig geworden ist, dass alte Ortsnamen gleichsam offiziell zum No-Go geworden sind. Wer getraut sich heute schon die kroatische Hauptstadt Zagreb beim deutschen Namen Agram zu nennen? Diese rigorose Haltung führt zwangsweise dazu, dass historische und kulturelle Linien aus dem Bewusstsein rücken.

Lwiw ist ein gutes Beispiel. Seit zwei Wochen ist die Stadt unter diesem Namen in den Schlagzeilen, als letzte heimische Bahnstation für ukrainische Flüchtlinge nach Polen. Neuerdings eben auch als militärisches Ziel. Lwiw also ist der (heute allein gebräuchliche) ukrainische Name, in Sowjetzeiten hieß es russisch Lwow. Auf Ukrainisch mutierte ja so manches russische „o“ oder „e“ zu einem „i“. Aus Kiew wurde Ki'iv. Und dann hat diese Stadt mit derzeit knapp einer Dreiviertelmillion Einwohnern einen klingenden deutschen Namen: Lemberg. Es war die Hauptstadt des zur Monarchie gehörenden Landesteils Galizien. Wikipedia nennt noch andere Namen: Lwów heißt's auf Polnisch und wird da mit „u“ ausgesprochen. Gleichlautend wie im Russischen klingt das armenische Լվով. Und natürlich nicht zu vergessen auf das in der Gegend einst so wichtige Jiddische: לעמבערג, zu lesen von rechts nach links, aber vertraut klingend, Lemberg nämlich.

Aus all diesen Namen kann man unmittelbar ablesen, dass die Stadt wie die Region seit je her ein sprichwörtlicher melting pot sind. Wir sind hier tatsächlich geographisch in Zentraleuropa, die sanften Hügel der Stadt, bebaut mit Jugendstil-Villen, bilden die europäische Hauptwasserscheide, Südlich von dieser fließen die Flüsse ins Schwarze Meer, nördlich in die Ostsee. Der Fluß Poltwa, den man in der Stadt nicht wahrnimmt, weil er kanalisiert wurde und unterirdisch fließt, mündet in den Bug und weist somit Richtung Schwarzes Meer.

Seit 1998 ist die Altstadt von Lemberg UNESCO-Weltkulturerbe, eine von derzeit sieben Welterbestätten in der Ukraine. Tatsächlich einzigartig sind ja die Zeugnisse aus den unterschiedlichen politischen Epochen. Der Löwe steckt nicht nur im Stadtwappen, sondern eben auch im slawischen Namen Lwiw/Lwow. Daniel Romanowitsch, Fürst von Galizien-Wolhynien, hatte 1256 hier für seinen Sohn Lew (Löwe) eine Burg errichten lassen. Mit den Kiewer Rus war es freilich bald vorbei. Von 1349 bis 1772 gehörte Galizien zu Polen. Juden wurden angesiedelt, aus Polen kamen Katholiken, auch Armenier bildeten eine kleine Enklave. Es wurde Ukrainisch gesprochen und polnisch – aber die ersten zweihundert Jahre war Deutsch die Amtssprache. Unter Josef II. kam die Region als Königreich Galizien und Lodomerien an die Habsburgermonarchie. Lemberg war fortan neben Budapest, Agram/Zagreb und Prag eine der wichtigsten Verwaltungs- und Ganisonsstädte der Monarchie. Eine der ersten militätischen Aktionen im Ersten Weltkrieg war folgerichtig der russische Sturm auf die Stadt. In der Zwischenkriegszeit gehörte die Stadt wieder zu Polen. Hitler und Stalin handelten 1941 aus, dass die Ukraine der Sowjetunion eingegliedert wurde. 1991 erst die tatsächliche staatliche Selbständigkeit, um die man jetzt verbissen kämpft.

Wenn man in Lemberg aus dem Bahnhof kommt und entweder per Straßenbahn oder zu Fuß das Stadtzentrum ansteuert, fühlt man sich nach ein paar Schritten quasi daheim. Die gründertzeitlichen Stadtviertel ähneln jenen der Monarchiestätte – ein Eindruck, den man ja auch sonst aus vielen Orten des ehemaligen Galizien mitnimmt. Der zweite Ort, auf den am vergangenen Wochenende russische Raketen abgefeuert wurden, ist Iwano-Frankiwsk. So „russisch“ sich das anhört – auch da ist man sogleich „daheim“ in der Monarchie!

In der Innenstadt von Lemberg dann freilich deutlich unterschiredliche Kultur-Spuren. Da ähnelt die Innenstadt mehr dem polnischen Krakau, vor allem der Marktplatz (Rynok). Aber auf dem parkartigen Boulevard Sloboda (Freiheit) meint man, in der gründerzeitlichen Unterstadt von Agram/Zagreb angekommen zu sein. Das repräsentative Opernhaus stammt zwar nicht von Helmer und Fellner, aber von einem Architekten, der eindeutig von diesem auf Theaterbau eingeschworenen Architekturunternehmen gelernt hat. Dafür hinterließen Helmer und Fellner eine andere Architektur-Spur: Ebenfalls am Boulevard Sloboda liegt das von ihnen entworfene Hotel Schorsch. (Wird fortgesetzt)

Bilder: dpk-krie
Zur ersten Folge Das große Tor von Kiew

 

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