„Bayerische Niggermusik“ für die römische Fortuna

REST DER WELT / MÜNCHEN / 75 JAHRE CARMINA BURANA

12/06/12 Eigenartig eigentlich, dass in Salzburg – Sitz des Orff-Instituts – niemand auf die Idee gekommen ist, auf das Jubiläum des wohl populärsten Chorwerks aus dem 20. Jahrhundert, der „Carmina burana“ hinzuweisen.

Die Kollegen vom Orff-Zentrum München sind fixer und zeigen anlässlich der Uraufführung von Carl Orffs "Carmina Burana" am 8. Juni vor 75 Jahren zeigt das eine Schau über die Entstehung und die Wirkung eines Welterfolgs. Ausstellungsort ist die Bayerische Staatsbibliothek in München. Dort werden auch der mittelalterliche Codex aus dem 13. Jahrhundert sowie die originale handschriftliche Partitur des Münchners Carl Orff (1895-1982) aufbewahrt.

Anhand von Dokumenten, Briefen, musikalischen Skizzen, Programmzetteln, Fotos, Bühnenbildentwürfen und Kritiken werden viele Aspekte rund um die szenische Kantate beleuchtet, die zu einem der populärsten Chorwerke des 20. Jahrhunderts wurde. Die "Carmina Burana" ist das meistaufgeführte Chor-Orchester-Werk der Musikgeschichte.

Darüber hinaus richtet die Ausstellung den Blick auf das Werk selbst. So gibt es für Besucher die Möglichkeit, die Musik zu hören sowie in der gedruckten Partitur und im Textbuch samt Übersetzung zu lesen. Auch der Briefwechsel von Orff mit seinem philologischen Berater Michel Hofmann liegt zum Blättern auf. Weiters ist die einzige zu Lebzeiten des Komponisten produzierte Verfilmung durch Jean-Pierre Ponnelle zu sehen.

Insbesondere der Anfangsteil von Carl Orffs Carmina Burana habe sich „tief ins kollektive Bewusstsein eingegraben und ist längst Teil der Popkultur geworden“, heißt es in einem Bericht der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA zum Jubiläum der Uraufführung. Das ganze Orchester startet in höchster Lautstärke, und der Chor besingt mit großer Emphase das veränderliche Wesen der Glücksgöttin Fortuna, die das, was sie heute verwöhnt, morgen vernichtet.

Carl Orff selbst war sich der Sonderstellung des Werks in seinem eigenen Oeuvre früh bewusst. Nach der Premiere wandte er sich an seinen Verleger mit einer gewagten Aufforderung: "Alles, was ich bisher geschrieben und was Sie leider gedruckt haben, können Sie nun einstampfen! Mit den Carmina Burana beginnen meine gesammelten Werke!" Auch später kam er immer wieder gern auf die Carmina zurück.

Fortuna, betonte er in seinen Lebenserinnerungen, habe es mit ihm gut gemeint, als sie ihm einst einen Würzburger Antiquariatskatalog in die Hände spielte. Hier stieß er auf jenes Werk, das ihm so viel Glück bringen sollte: eine Sammlung von 254 im 11. und 12. Jahrhundert entstandenen Lied- und Dramentexten in mittellateinischer, mittelhochdeutscher und altfranzösischer Sprache. Der Titel Carmina Burana bedeutet "Lieder aus Benediktbeuern". Das Kloster ist freilich nur der Fundort der entsprechenden Pergamenthandschrift. Die meisten Lieder sind eher weltlicher als geistlicher Natur. Es sind vorwiegend derbe Trink- und Liebeslieder sowie poetische Beschwörungen von Naturerscheinungen.

Orff wählte 24 Stücke aus, die er auf drei Gruppen verteilte, wobei zunächst das Erwachen des Frühlings, dann das Treiben in einer Schänke und schließlich die erotische Begegnung von Mann und Frau thematische Schwerpunkte bilden. Hierfür verwendete er nicht die – zu seiner Zeit noch unbekannten – originalen Melodien, sondern komponierte alles neu. Er beschränkte er sich auf einfache melodische und harmonische Strukturen und schuf echte Ohrwürmer.

Der gelegentlich geäußerte Vorwurf, Orff habe sich mit dem Werk den Nationalsozialisten angedient, greift zu kurz. Obwohl das Verhalten des Komponisten in dieser Zeit durchaus Anlass für kritische Diskussionen bietet, entsprachen die "Carmina Burana" ganz und gar nicht völkischen Musikvorstellungen. So galt der Gebrauch des Lateinischen als "undeutsch", während die erotischen Anklänge pornographisch anmuteten und der Musikstil insgesamt als "bayerische Niggermusik" abqualifiziert wurde. Der Beliebtheit des Werks tat dies jedoch schon damals keinen Abbruch. (Kathpress/dpk-krie)

Die Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek ist vom 21. Juni bis 31. August zu sehen. – www.bsb-muenchen.de
Bilder: Bayerische Staatsbibliothek