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Jetzt rücken die Soldaten plötzlich überall aus

REST DER WELT / MÜNCHEN / DIE SOLDATEN

26/05/14 Vor 50 Jahren galten sie für Pultgrößen wie Günter Wand und Wolfgang Sawallisch als unspielbar: Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“. Die Zeiten haben sich zum Glück geändert. Mit Andreas Kriegenburgs Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper ist das Werk hoffentlich auch in München im Kernrepertoire angekommen.

 

Von Oliver Schneider

2008 gab Andreas Kriegenburg, der im Sommer für Ödön von Horváths „Don Juan kommt aus dem Krieg“ auf der Perner-Insel in Salzburg zu Gast sein wird, sein Hausdebüt an der Bayerischen Staatsoper mit Alban Bergs „Wozzeck“. Zufall oder Absicht, mit den „Soldaten“ hat er jetzt das musikalische Totaltheater von Bergs Seelenverwandtem Zimmermann in Szene gesetzt, mit dem Berg so viel verbindet wie trennt.

Wie so oft auf der Opernbühne, ist es auch den „Soldaten“ ergangen. Jahrelang fand man sie nur sporadisch auf den Spielplänen, und plötzlich tauchen sie „überall“ auf. Bei der Ruhrtriennale, 2012 in Salzburg, zu Beginn der Spielzeit in Zürich und nun in München. Die Komische Oper Berlin übernimmt die Zürcher Produktion im Juni. Calixto Bieito in Zürich ließ die drei Handlungsstränge um die zur Hure werdende Marie, ihren Verlobten Stolzius und die Soldaten in der Wirtschaftswunderzeit spielen, Alvis Hermannis nahm den Ersten Weltkrieg naturalistisch in der Felsenreitschule als Folie.

Bei Kriegenburg bleiben die in einem öden Einheitsraum verorteten Handlungsstränge zeitlich im Ungefähren. Die Kostüme (Andrea Schraad) deuten auf die Handlungszeit von Jakob Michael Reinhold Lenz‘ gleichnamigem, dem Libretto zugrundeliegendem Schauspiel hin. Die dargestellten Soldaten könnten einem faschistischen oder kommunistischen System entstammen, während unter anderem die zur Jazz-Combo gewordenen Beatles die Verbindung zur Entstehungszeit der Oper herstellt. Das Zentrum des Bühnenraums bildet ein aus je drei mal drei Käfigen bestehendes Kreuz. Wie auf der Salzburger Felsenreitschule stehen dadurch auch zusätzliche Handlungsorte zur Verfügung (Bühne: Harald B. Thor). Kriegenburgs zentrale Aussage machen Bühne und Kostüme von Anfang an deutlich: „Die Soldaten“ kennen keine örtlich und zeitlich fixen Räume, weshalb er im Laufe des Abends auch aus der Zeitgeschichte zitiert.

Im Mittelpunkt steht Marie aus Lille, die von einer braven, mit dem Tuchhändler Stolzius verlobten Bürgerstochter ähnlich einer Lulu zur Soldatenhure wird und schließlich zwischen Abfallsäcken kauernd in der Gosse landet. Barbara Hannigan gibt die junge Frau stimmlich souverän. Darstellerisch zeigt sie allerdings von Anfang an zu deutlich, in welche Richtung sie ihr Leben bewusst steuert und nicht nur steuern lässt. Damit widerspricht sie ein Stück weit dem, was Hauptmann Haudy (Tim Kuypers) am Ende des ersten Akts von zu Huren gewordenen Frauen behauptet. Erst als es zu spät ist, versucht sie, ihrem Schicksal eine neue Wendung zu geben. Vergeblich: Während die Gräfin ihren in Marie verliebten Sohn drängt, die Stadt zu verlassen, versucht Marie symbolisch, den Bühnenraum zu verlassen. Immer wieder wird sie brutal zurückgedrängt.

Auch ihre Familie führt sie in den Abgrund. Schon ihr Vater (gut besetzt mit Christoph Stephinger) kann die Hände nicht von ihr lassen, während ihre Schwester Charlotte im Laufe des Abends kupplerische Züge annimmt (hervorragend Okka von der Damerau).

Die Soldaten zeichnet Kriegenburg als ausschließlich von Trieben gesteuerte Bestien, die in puncto Gewalt und Sex keine Grenzen kennen. Bereits im Preludio misshandeln sie Frauen in den Käfigen auf grausamste Weise. Desportes muss beim ersten Zusammentreffen mit Marie sogar an einer Leine angebunden werden, um nicht sofort über sie herzufallen. Im Kaffeehaus im zweiten Akt unterstreicht das perfekt orchestrierte Bewegungsspiel des uniformen Soldatenvolks das von ihnen ausgehende Bedrohungspotential (Choreographie: Zenta Haerter).

Die große Kulmination vor der Schlussapokalypse erreicht auch der der Münchner Abend in der dreiminütigen ersten Szene des vierten Aktes, in der Regisseur und Generalmusikdirektor Kirill Petrenko zwölf Simultanszenen mit 17 Sängern und noch Tänzern fabelhaft koordinieren. Nur auf die vom Komponisten geforderten Filme wird verzichtet.

Im Mittelpunkt des dritten Handlungsstrangs steht Michael Nagy als Stolzius, der Wozzeck-ähnlich vom zurückhaltenden, von seiner Mutter geführten (Heike Grötzinger) Muttersöhnchen zum in den Wahnsinn getriebenen Giftmörder wird. Nagy liefert ein so eindringliches Rollenporträt, dass er sich mit der Partie in die erste Liga der Charakterbaritone spielt und singt. Aus dem Rest des großen Ensembles seien stellvertretend noch erwähnt: Daniel Brenna, der die heldentenoralen Anforderungen des Desportes mühelos bewältigt, Kevin Connors als spitzer Pirzel, Hanna Schwarz als immer noch präsente Mutter Weseners und Nicola Beller Carbone als Gräfin.

Petrenko hat das in Elektra-Stärke besetzte Orchester, ergänzt durch Schlagwerk und Tasteninstrumente, vom klanggewaltigen Preludio an bis zum Schluss jederzeit unter Kontrolle. Neben den komplexen Intermezzi und den Simultanszenen sind es, wie nicht anders zu erwarten, die zahlenmäßig überwiegenden kammermusikalischen Szenen, in denen der Dirigent und das Bayerische Staatsorchester durch Transparenz auftrumpfen. In Petrenkos Dirigat wird noch deutlicher als bei Ingo Metzmacher in Salzburg, wie klar die serielle Basis mit (tonalen) Zitaten von Bach sowie aus Jazz und Volksmusik angereichert ist.

Ein ergreifender Abend, der trotz des immensen Aufwands keine Materialschlacht ist und mit dem Einspielen der Originaltonbänder endet. Damit zeigt Kriegenburg, dass sich das von Zimmermann angedachte Untergangsszenario nicht von aktuellen Bedrohungsszenarien unterscheidet.

Weitere Vorstellungen am 28. und 31.5, am 4. und 6. Juni sowie im Herbst (31.10, 2. und 4.11.) - www.staatsoper.de

 

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