ZÜRICH / DER ROSENKAVALIER
23/09/25 Am vergangenen Wochenende ist das Opernhaus Zürich unter der neuen Intendanz von Matthias Schulz in die Saison gestartet. Mit einem Liederabend mit Elīna Garanča, 24-Stunden-Opernhaus und – als Höhepunkt – einem neuen Rosenkavalier.
Von Andreas Wegelin
Das neugierige, zahlreich erschienene Publikum konnte am Freitag als erstes den neuen Hausherrn Matthias Schulz selbst als Liedbegleiter der Starsängerin Elīna Garanča erleben. Anschließend gab es unter dem Motto „24h Opernhaus: 1 Nacht, 1 Tag, 0 Eintritt“ zuerst eine mehrstündige Nacht-Tanzperformance und Nachtführungen im ganzen Haus. Die Hauptbühne wurde später zu einem improvisierten Schlafcamp mit mannigfaltigen Möbeln aus bestehenden Inszenierungen umgewandelt. Vor dem Frühstück dann eine Yoga-Lektion. Weiter ging es mit Kinderprogramm, öffentlichen Proben, einer Uraufführung auf der Studiobühne und einem Abschluss auf dem Sechseläutenplatz mit DJ bei spätsommerlich warmen Temperaturen. So öffnet sich das Opernhaus den Zürcherinnen und Zürchern.
Den Abschluss des Wochenendes bildete die Neuinszenierung von Richard Strauss’ Rosenkavalier. In Zürich ein neues Gesicht ist die amerikanische Regisseurin Lydia Steier. Sie hat bei den Salzburger Festspielen 2022 die Zauberflöte inszeniert. In Zürich legt sie ihrer Arbeit eine vom Austro-amerikanischen Künstler Gottfried Helnwein konzipierte „Ausstattung und ästhetische Gesamtkonzeption“ zugrunde. Diese war ursprünglich für die Los Angeles Opera 2007 geschaffen worden. Lydia Steier hatte den Wunsch geäußert, in dieser Ausstattung eine neue Regie zu entwickeln. Zentrales Moment sind die Vergänglichkeit und der mühevolle Umgang der Protagonistinnen damit. Die Marschallin äußert das bekanntlich sehr genau in ihrem Monolog über die Zeit. Octavian muss erkennen, dass seine Liebe zur Marschallin nicht von Dauer sein wird. Baron Ochs zeigt in seinem erst gelben, später roten Kostüm, dass er sein Alter trotz der Farbfreude nicht verbergen kann. In mehreren Videoprojektionen verwandeln sich jugendliche Porträts allmählich in Totenschädel und selbst der Luster im Gemach der Marschallin ist mit gläsernen Kristall-Schädeln besetzt.
Helnweins Konzeption geht bis zur Gestaltung des aktuellen Programmhefts und des Plakats: Das rosafarbene Foto mit den beiden sich küssenden Hauptdarstellerinnen Sophie und Octavian trägt ebenfalls seine Handschrift. Von einer Rosenkavalier-Inszenierung haben viele Opernfans genaue Vorstellungen, wie das Stück in szenischer und musikalischer Hinsicht aufzuführen sei. Diese Vorstellungen werden in der Zürcher Neuproduktion gehörig durchgeschüttelt und mit neuen Blickwinkeln bereichert:
Steier zeichnet die zentrale Szene der Rosenüberreichung so, dass ein gelangweilter, von seiner großen Liebe zur Marschallin enttäuschter Octavian die Übergabe der silbernen Rose als lästige Pflichtübung hinter sich bringen will und von der Leitmetzerin vor einem verfrühten Abgang abgehalten werden muss. Diese Darstellung kann zuerst irritieren und belustigt auch das Publikum, zeigt aber kurz danach beim Blickkontakt zwischen Sophie mit Octavian noch viel eindrücklicher die Liebe auf den ersten Blick, unterstützt von den aufrauschenden Klängen des Orchesters und in der szenisch einer Auflösung des Treppenhauses von Fanninals Palais mit Blick in den Sternenhimmel.
Über den Abend eingestreut bringt Steiers Inszenierung neben einer genauen Personenführung bis in die kleineren Partien viele weitere, charmante und witzige Details. Sophie wird in Zürich stark aufgewertet und ist eine selbstbewusste, charakterstarke junge Frau. Gesungen wird sie von Emily Pogorelc, die erstmals am Opernhaus zu Gast ist und bei ihren Zweifeln vor der und silberner Stimme Begegnung mit ihrem zukünftigen Ehemann mit einer hohen Textverständlichkeit brilliert. Im dritten Akt tritt sie bereits mit zu Beginn an der Seite von Octavian/Mariandel auf und wird dadurch Zeugin der chauvinistischen Übergriffigkeit des Ochs.
Auch Günther Groissböck legt die Figur des Ochs überzeugend und stimmmächtig neu an. Im Vorstadt-Beisl sind Prostituierte (wohl frühere Affären des Ochs) allgegenwärtig. Ochs lässt sich in einer Sadomaso-Szene fesseln und von Oktavian/Mariandl mit der Peitsche traktieren. All das passt durchaus zum gesungenen Text. Bo Skovhus ist eine Luxusbesetzung für den Edlen von Faninal. Er spielt und singt diese Rolle glaubwürdig, wenn auch von Regie und Ausstattung eher aus der Zeit gefallen angelegt.
Mit Diana Damrau hat Matthias Schulz einen weiteren Weltstar für seine Eröffnungspremiere gewinnen können. Sie weiß der der Marschallin als gereifte Persönlichkeit und stimmlich leuchtend neue Facetten abzugewinnen. Sie steht im Zentrum der Erzählung von der Vergänglichkeit der Figuren in diesem Spiel. Das zeigt auch sinnbildlich der Schluss der Oper, wenn die Marschallin mit hochtoupierten Haaren im breiten Rokokokleid in eine heutige Welt eintritt, wie sie die Szenerie im Vorstadtbeisl, eher eine zwielichtige Spelunke, darstellt.
Angela Brower gibt einen permanent präsenten und über alle drei Akte hervorragend disponierten Octavian. Mit ihrer ausdrucksstarken Stimme wirkt sie glaubwürdig als Kammerzofe wie auch als ungestümer, androgyner Liebhaber. Auch das dürfte selbst zum Konzept zu gehören, dass die Frauen in diesem Rosenkavalier klar die Fäden in der Hand halten.
Auch am Pult eine Powerfrau, Joana Mallwitz. Sie leitet zum ersten Mal am Opernhaus eine Neuproduktion und lässt das Orchester der Oper Zürich mit eher flotten Tempi, aber auch in zarten lyrischen Momenten aufblühen. Ihr Zugang ist vielleicht nicht typisch wienerisch und unterläuft damit auch festgefahrene Vorstellungen von der Musik.
Weitere Vorstellungen am 26. September, 1., 5., 14., 17., 21. und 26 Oktober 2025 – www.opernhaus.ch
Ab 2. Oktober auch nachzusehen als Video-on-demand auf Play Suisse und arte concert.
Bilder: Opernhaus Zürich / Matthias Baus