Prophetenkönig mit Hackebeil als Szepter

LINZ / LE PROPHÈTE

23/09/19 Die Waffenlobby gehört in die Schranken gewiesen! In Giacomo Meyerbeers Oper Le Prophète, zur Saisoneröffnung produziert im Linzer Musiktheater, fuchteln von der ersten Szene weg andauernd zwielichtige Gestalten mit Pistolen herum. Unter Waffenscheinpflicht sollte man aber auch Holzhacken stellen, auch Seile, Schießpulver und – wenn ich die etwas kryptische Finalszene recht deute – sogar Giftgas.

Von Reinhard Kriechbaum

Herzhaft jedenfalls geht es dort zu, wo die Wiedertäufer umgehen und für vermeintliche Rechte des geknechteten Volkes eintreten. In der Inszenierung von Alexander von Pfeil sind die drei Sprecher dieser wüsten Sekte Galgenvögel im Wortsinn. Es wird gehenkt nach Kräften. Was ihnen und ihrer – in heutiger Diktion würde man sagen: populistischen – Agitation noch abgeht, ist ein lauterer Mensch, eine herzeigbare Symbol- und Autoritätsfigur.

Le Prophète findet sich in der Gestalt des Gastwirts Jean, der die Bildfläche eigentlich nur deshalb betritt, um die Braut Berthe abzuholen. Klappt nicht, denn deren Grundherr (wir sind im 16. Jahrhundert) hat seine Blicke mit Wollust auf die junge Dame gerichtet. Jean ist rasch bereit, in der Führungsetage der Wiedertäufer einzusteigen und einen Rachefeldzug gegen „die da oben“ anzuführen, besonders gegen den Grafen von Oberthal. Das Hackebeil ist sein Szepter, der weiße Mantel mit Hermelinkragen ein Symbol des Machtrausches. Auf der Strecke bleiben Braut Berthe und die Mutter Fidès: Liebe und Verwandtschaft haben keinen Platz im Leben eines erfolgreichen Demagogen.

Meyerbeers Le Prophète, 1849 für die Pariser Oper geschrieben, ist eine jener Opern, die bis ins mittlere 20. Jahrhundert hinein zum Kanon der romantischen Oper rechneten. Seither fristet der Prophet ein mehr als bescheidenes Bühnendasein. Das müsste so nicht sein, denn erstens finden sich in der Partitur, ist man mal über die Marsch-knatternde Ouvertüre und den insgesamt reichlich eindimensional knallenden ersten Akt drüber, hochromantische Genreszenen und nicht wenig Ironie. Der jüdischstämmige Giacomo Meyerbeer (1791-1864), nahe Berlin geboren, hatte einen guten Blick auf bigottes Blendwerk, und ein Jahr nach den 1848er-Turbulenzen waren ihm bürgerkriegsähnliche Zustände so vertraut wie das Agieren selbsternannter Weltverbesserer. Die Ironie in dieser Partitur wäre genauere Blicke wert. Markus Poschner am Pult des Brucknerorchesters setzt weniger aufs Analytische, Hintergründige. Er lässt das Orchester in guten Momenten tänzeln, in schlechteren preschen. Was die Genauigkeit im Instrumentalen anlangt, ist Luft nach oben.

Le prophète will gesungen sein: Jeffrey Hartmann in der Titelrolle ist ein Tenor, zu dem einem nach dem Premierenabend eigentlich nur das Wort brauchbar einfällt – und das ist entschieden zu wenig. Aber es mag schon auch an der Orchesterbegleitung liegen, das Umfeld war differenziertem Singen nicht dienlich. Umso bemerkenswerter, dass sich Katherine Lerner als Prophetenmutter Fidès dann sehr wohl gestalterisch emanzipieren konnte, so wie Brigitte Geller als Berthe. Dominik Nekel, Matthäus Schmidlechner und Adam Kim sind die erdigen Revolutionäre, Martin Achrainer ein gebührend uncharmanter Graf von Oberthal.

Die Szene, ein Wimmelbild im Halbdunkel. All die Underdogs, die sich von den Wiedertäufern zum Aufstand, zur Gewalt verführen lassen, sind in einer kreisrunden Fabrikhalle versammelt. Ist es ein Lager von Flüchtlingen? Oder ein Ort, wo sich zwielichtige Leute zusammenrotten? Jedenfalls sind es heutige Menschen (das Handy ist ein Kommunikationsmittel, zumindest bei den Anführern). Die Wiedertäufer und ihr Prophet veranstalten zuletzt viel pseudo-liturgisches Brimborium, die Frauen in weißen Kleidern geben als Bräute Christi (oder Gespielinnen der Wiedertäufer, die es auch mit Vielweiberei versuchten) die Staffage ab. Da bleibt vieles vage. Chor und Komparserie sind hinlänglich beschäftigt, die große Bühne will angefüllt sein mit Menschen und Untaten.

Ballettmusiken, aber kein Ballett: Statt dessen werden Texte projiziert, aus denen man ein wenig über die Wiedertäufer erfährt. Lehrreicher Lestoff zu sinnlichen Tönen!

Letztlich erklärt sich die Geschichte auch im wenig definierten Umfeld. Dass der in die Prophetenrolle gedrängte Jean de Leyde (übrigens eine historische Figur) durchknallt und letztlich am falschen Eigen-Bild zerbricht, daran haben die beiden von ihm verleugneten Frauen wesentlich Anteil: Die menschliche Vergangenheit holt einen Populisten, der seiner Rolle bei weitem nicht gewachsen ist, ein. Aber zu spät...

Aufführungen bis 3. März 2020 im Großen Saal des Linzer Musiktheaters – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Barbara Pállfy, Reinhard Winkler