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Stadtschauen mit Kunst-Augen

GRAZ / LA STRADA

28/07/20 Eine Menschengruppe, die Sesseln mit sich trägt. Vor einem Eissalon bilden sie Sitzreihen – und schauen. Schauen anderen beim Schleckeiskaufen zu. So schnell, wie sie gekommen ist, löst sich die eigentümliche Versammlung wieder auf. Man zieht weiter zum nächsten Beobachtungspunkt, von dem man nicht geglaubt hätte, dass es dort etwas zum Schauen gibt.

Von Reinhard Kriechbaum

Willi Dorner ist Choreograph und Lebensraum-Entdecker. Seine Kunstprojekte, mit oder ohne Tänzer, zielen darauf ab, die Umgebung bewusster, deutlicher, vielleicht auch neu wahrzunehmen. So konnte man in den vergangenen Tagen unter dem Motto It does not matter where unter seiner Anleitung in Graz herumsitzen. Individuell planlos oder in der Gruppe geführt. Am Sonntag (26.7.) abends hat der zu dieser Gelegenheit verkehrs-befreite Opernring ausgesehen, als ob Christoph Marthalers Bühnenbildnerin Anna Viebrock zugeschlagen hätte (ihre Spezialität: Sessel-Landschaften bauen). Die Einladung an die Flaneure: Sitzen, schauen. Artisten und andere Künstler, umringt von einer Menschentraube? Könnte ungesund sein in Zeiten wie diesen.

Das Grazer Festival La Strada gibt’s trotzdem. In der Corona-Not kam den Veranstaltern zugute, dass man seit geraumer Zeit ohnedies sehr drauf setzt, Projekte maßzuschneidern für die Stadt und ihre Bewohner. Diesmal also: Maßschneidern so, dass möglichst kein Gedränge entsteht. Im Landhaushof ist viel Platz, Christian Muthspiel hat die Musiker seines Orjazztra Wien in die Arkaden gestellt und sie sich dort zu unterschiedlichen Formationen versammeln lassen. Schmetternder Bigband-Sound, allerlei Zitatwerk vom Dies Irae bis zum alpenländischen Jodler, komponiert und improvisiert – eh nett, auch wenn man solche Dinge in den vergangenen fünfzig Jahren gerade auch an diesem Ort dutzendfach gesehen und gehört hat (der erste, glaubt sich der Schreiber dieser Zeilen zu erinnern, war in den frühen 1970ern der Amerikaner Robert Moran beim „Steirischen Herbst“).

Aber es ist gerade nicht die Zeit, nach Originalität und Innovation zu rufen. Hauptsache, es passiert irgendwas in Sachen Kunst. Die Klangskulptur Die sanfte Antwort von dem Grazer Jazzer und Komponisten Günter Meinrad ist eigentlich eine Animations-Klamotte. Amateure waren eingeladen, ein online gestelltes Notenblatt auszudrucken und mitzubringen. Notenpulte in gehörigem Abstand, eh klar. Eine Folge von rhythmischen und melodischen Motiven, die immer zur vollen Minute wechseln. Das Handy macht die Synchronisation, die vor zwei Jahrzehnten erst noch technisch hätte gelöst werden müssen, heutzutage zum Kinderspiel. Über hundert Anmeldungen gab's, erzählt der Komponist, der das Stück heute Dienstag (28.7.) auch in Weiz aufführt. Signal in Graz heißt ein Projekt von Rob van Riijswijk und Jeroen Strijbos: Elektronische Klanginstallationen da und dort in der Altstadt, und einige Male dazu drei Live-Sopranistinnen. Tendenziell meditativ, jedenfalls stimmungsvoll.

Beim Radfahren aus dem Augenwinkel entdeckt und aufmerksam geworden: Eine Frau, die zwischen zwei Schaufenstern eines Modegeschäfts an ihrem Mini herumnestelt. Schräg gegenüber eine Kollegin, die Gesten einer Straßenbettlerin aufgreift. Die Gruppe Liquid Loft hat in Stand-Alones (polyphony) mit Einzelaktionen Selbstverständliches im urbanen Leben zum Thema gemacht und kritisch kommentiert. Liquid Loft war übrigens schon einigemale in Salzburg zu Gast bei der Salzburger SZENE. Hierorts kennt man auch die australische Gruppe Circa (im Vorjahr zu Gast im Winterfest). Deren für La Strada geplante große Produktion ist Corona-bedingt aufs nächste Jahr verschoben worden, dafür hat man einige tänzerisch-artistische Versatzstücke in der Grazer Opernhaus gezeigt, Cube Studies in einem Glaskobel oder auf projizierten Plan-Quadraten. In kleinen Gruppen wurden die Zuseher wurden in die Logen geleitet (eine Person pro Loge). Mysteriöses Nebel-Halbdunkel im Zuschauerraum. Eine stimmungsvolle und bühnenwirksame Miniatur, aber doch ein wenig dürftig, weil keine Geschichte. Aber auch da galt: Hauptsache, es rührt sich was...

Das Festival „La Strada“ ist heuer, im Grazer „Kulturjahr“, in mehrere Teile gesplittet, der nächste Veranstaltungsblock ist von 28. August bis 5. September – www.lastrada.at
Bilder: dpk-krie

 

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