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Vergissmeinnicht ist ein Wort

GRAZ / ZITRONEN ZITRONEN ZITRONEN

01/04/21 2015, im Jahr der Uraufführung von Sam Steiners wortschwallendem Einsilbigkeitsstück Lemons Lemons Lemons Lemons Lemons hätten selbst notorische Schwarzseher nicht von einer Pandemie geträumt, von großflächig eingeschränkten Sozialkontakten. Da hatte die Reduktion auf 140 Buchstaben eher Freakwert, wurden nicht kritisch umtwittert, eher lustvoll ausgekostet. Hang zum Übermaß übrigens auch da: Heute sind es schon 240...

Von Reinhard Kriechbaum

Sam Steiner, Dramatiker und Drehbuchautor aus Manchester, hat für seinen Bühnen-Erstling nicht auf 140 Buchstaben, sondern auf genau diese Zahl an Wörtern gesetzt. Eine bedrohliche politische Situation im nicht näher gefassten Irgendwo. Es dräut ein Gesetz, das den Mitteilungsdrang seiner Bürger radikal einschränken würde: 140 Wörter Tages-Konversation – und aus. Ein junges Paar probt den Ernstfall, der dann tatsächlich eintritt. Das Gesetz wird verabschiedet. Was macht ein solcher Einschnitt in eine der privatesten Freiheiten, die Redefreiheit, mit uns, ganz individuell?

Kein Wunder, dass ein solches Stück in der Facebook-, Twitter- und WhatsApp-Welt auf Widerhall stößt. Es ist unterdessen in acht Sprachen übersetzt worden.

Aus den fünf Lemons im Originaltitel sind in der deutschsprachigen Variante, die im Grazer Schauspielhaus vorerst virtuell aus der Taufe gehoben wurde, drei Zitronen geworden. Das ist vielleicht als unaufdringlicher Hinweis gedacht, dass man in der deutschen Sprache mit unnötigen Widerholungen besonders aufpassen sollte. Sie hält ja so manche Formulierungs-Umständlichkeiten bereit, und von unnötigen Schnörkseln in unserem Alltags-Sprech reden wir lieber gar nicht, nicht wahr? 140 Wörter – da fluschen die unnötigen Ausdrücke nur so dahin und nagen zusätzlich am eisernen Vorrat.

Um Sprachkritik geht’s hier natürlich nicht, sondern ums Politische der Sprache und um die Beziehungskiste zweier junger Menschen. Im Original heißen sie Bernadette und Oliver. Aus letzterem hat die niederländische Regisseurin Anne Mulleners, seit voriger Saison Regieassistentin im Schauspielhaus Graz, eine Olivia gemacht. Auch egal. Im Ernstfall passen ja nicht nur Männer und Frauen, auch gleichgeschlechtliche Menschen nicht zusammen. Die Mutation zum Lesbenpärchen bringt nichts, aber schadet auch nicht. Bernadette ist Juristin und also quasi berufsmäßig Versteherin von Verordnungen. Olivia, die Musikerin, ist eine, die motzt und protestiert. „Man braucht mehr Worte, wenn man weniger Geld hat“, argumentiert sie. Die drohende Einschränkung der persönlichen Redefreiheit teile „die Gesellschaft in Leute, die Worte haben und in solche, die sie brauchen“. Der Reiz von Zitronen Zitronen Zitronen ist, dass der gesellschaftliche Diskurs heruntergebrochen wird auf die private Ebene. „Jedes Paar hat sein eigenes Wörterbuch“, sagt Bernadette einmal. Der Autor dekliniert nicht lange herum an gesellschaftspolitischen Fragen, er bringt sie ganz unaufdringlich ein in diese privaten Wörterbücher, die bei seinen beiden Protagonistinnen übrigens sehr unterschiedlich bestückt sind.

Zwei Stückvarianten hat man in Graz vorbereitet: ein Kammerspiel im kleinsten Bühnenraum soll es in dieser Saison noch geben. Jetzt aber einmal eine Online-Fassung, die aus eben diesem Bühnenraum ausbricht. Im Botanischen Garten der Universität mit seinen architektonisch eigenwilligen Gewächshäusern wuchert es rundum, während die beiden Frauen in einer Art „Survivaltraining“ schon mal Wörter zählen und einschränken. Hübsche Idee, die Schnitte und Sprünge zwischen den vielen kurzen Szenen mit einem Zurückdrehen auf Schwarzweiß zu markieren. So behält die Sache ihren Flow, wie er englische Konversationsstücke auszeichnet. Die virtuelle Version hat also sehr eigene filmische Qualitäten. Sie machen erst recht drauf neugierig, wie dieses Stück, diese beiden so durch und durch sympathischen Darstellerinnen im Theater ankommen.

Katrija Lehmann und Maximiliane Haß sind Bernadette und Olivia. Gar nicht klischeehaft sind sie hergerichtet, und beide agieren mit größter Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit. Weder wirkt die Juristin über die Maßen streng, noch die Musikerin ausgeflippt. Und doch ist gerade so viel Unnahbarkeit auf der einen und Empathie auf der anderen Seite, dass der Dauer-Clinch der beiden gut nachvollziehbar ist. Aber keine Angst, die Reduktion der Wörter führt letztlich nicht zu Spaltung, sondern zu einer Stärkung der Beziehung. Am Ende werden sie gemeinsam Richtung Demo aufbrechen, auch wenn in dieser letzten Szene die Tages-Wortzahl mit 137 schon nah am Limit ist. Und weil wir schon beim Positiven sind: Zusammengesetzte Wörter werden nicht einzeln gezählt. Vergißmeinnicht ist eins!

Weitere Online-Aufführungen am 9., 13. und 29. April. Wenn's wieder geht, live im Haus Drei (Grazer Schauspielhaus) – www.schauspielhaus-graz.at
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lex Karelly

 

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