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Alles, was du liebst, ist dort...

OPER GRAZ / MORGEN UND ABEND

25/02/22 Dass Mutter und Kind diese Geburt überleben glaubt niemand. Der Vater tigert verzweifelt durch die Steinwüste, gefangen von von existentieller Angst... Stein und Fels. Nebel und Finsternis. Hoffnung und Licht. Morgen und Abend – die Oper von Georg Friedrich Haas ist ein betörendes Kammerspiel vom Leben selbst.

Von Heidemarie Klabacher

Anfang und Ende. Geburt und Tod. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen zusammen im Bug eines gestrandeten Schiffes. Im warmem Licht einer Holzhütte ohne Fundament. In einer Steinwüste. Der Knabe Johannes, am Anfang geboren während des existentiell verzweifelten Monologs seines Vaters Olai, stirbt am Ende in Gestalt seines Großvaters Johannes. Es wird immer einen Johannes geben, immer einem Olai, eine Signe, eine Erna…

Es ist weniger eine Zeitschleife, die die Figuren im Libretto von Jon Fosse, in der deutschen Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel, rotieren lässt. Es ist vielmehr das Leben selber, seine zyklisch-spiralige Doch-Nicht-Endlichkeit. „Er soll ein Fischer werden, wie sein Vater, wie sein Großvater...“

Ein Kammerspiel nur der Form nach, redet die Oper Morgen und Abend von Georg Friedrich Haas ganz ohne Esoterik-Klimbim von Hoffnung im Hoffnungslosen. Das allein schon überwältigende Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic in der Österreichischen Erstaufführung in der Oper Graz – der Bug eines riesigen gestrandeten Schiffes voll Schotter und Gestein – hat archaische archetypische Kraft.

Eine Holzhütte schwebt bei Bedarf in ihren Einzelteilen vom Schnürboden herab. Aus einem klapprigen eisernen Bett steigt – nach der unerwartet glücklichen Geburt des Knaben – dessen Großvater und richtet sich widerwillig zum Sterben. Abgeholt und begleitet wird er von Voraus-Gegangenen, die als Wiedergänger für Augenblicke zu Weggefährten werden: Etwa wenn Erna, je nachdem Großmutter oder Ehefrau des Johannes, in verschiedenen Lebensaltern gleichzeitig erscheint, Tee einschenkend, fürsorgend wie immer. Sogar eine kleine komische Szene hat Platz, wenn der sterbende Johannes seinem längst verstorbenen Freund Peter wie einst und immer die Haare schneiden will: Die betörende flächig in sich selbst sich bewegende Musik von Georg Friedrich Haas bekommt in diesen Momenten fast tänzerische Bewegung.

Die Regie von Immo Karaman ist in jedem Moment in perfekter Balance zur Musik. Der exzessive Eingangs-Monolog von Cornelius Obonya als werdender Vater Olai lässt den Atem anhalten. Es stellen sich, im Wortsinn, die Nackenhaare auf angesichts dieser  rücksichtslos an der Grenze zum Wahnsinn angesiedelten Expressivität. Weniger ein Monolog natürlich, als ein Dramolett – Wort und Musik sind innigst aufeinander bezogen, werden von Dirigent und Schauspieler virtuos in Einklang gebracht. Roland Kluttig am Pult der Grazer Philharmoniker reduziert organisch die opulentne Klangflächen zu irisierenden Momenten aus wenigen Instrumentalklängen, um beinah unbemerkt erneut bedrohliche Klanggebirge aufzutürmen.

Eine zentrale Rolle spielt – neben den brillanten Solisten Cathrin Lange als Hebamme und Signe, Markus Butter als Johannes, Christina Baader als Erna und Matthias Koziorowsk als Peter – der Chor der Oper Graz. Unsichtbar bleibend tragen die Vokalisten zur betörenden Klangwirkung zusätzlich schillernde Farben und enorme Tiefenwirkung bei. Blechbläser und Donnerblech sind ebenso fugenlos und übergangslos integriert in den Haas'schen Klangkosmos wie schrille Flöten oder wüste Attacken des Schlagwerks. „Du musstest dir das Leben abgewöhnen“, sagt Peter zu seinem alten Freund Johannes. „Heute Morgen bist du gestorben.“ Toll, das Understatement angesichts der Schiffs-Metaphern und des  dominierenden Buges: Erst ganz zum Schluss gibt es konkrete Anspielungen auf den Fährmann Charon, wenn Peter auf der Tür, die auch schon als Grabplatte Verwendung fand, wie auf einem Floß übersetzt. „Alles, was du liebst, ist dort...“

Morgen und Abend – insgesamt sieben weitere Vorstellungen zwischen 2. März und 27. April in der Oper Graz – oper-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Oper Graz Werner Kmetitsch

 

 

 

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