Nicht nur die Karlskirche Fischers von Erlach kann man von diesem Logenplatz aus bewundern. Wenn die Architekten des neu-alten Wien Museums von „gleicher architektonischer Augenhöhe“ sprechen, dann meinen sie auch den Blick über den Resselpark Richtung Technische Universität, auf der anderen Seite über die Lothringerstraße Richtung Künstlerhaus und Musikverein. Da hat man also Hochbarock, Ringstraßenzeit und sogar die 1960er Jahre vor Augen. Das Winterthur-Gebäude dürfte man heutzutage nie und nimmer neben die Karlskirche stellen. Ein Stil-Mischmasch sondergleichen jedenfalls. Das alte Stadtmuseum selbst, von Oswald Haertl in den 1950er Jahren entworfen und 1959 eröffnet, war ein Kind seiner Zeit. Und es steht unter Denkmalschutz.
Wie also an diesem städtebaulich so heiklen Punkt ein Museum erweitern? 274 Architekturbüros aus 26 Ländern hatten dazu Ideen. Gegen Kapazunder wie Zaha Hadid Architects und andere Berühmtheiten der Branche hat sich 2014 das Architektenteam Certov, Winkler und Ruck (Klagenfurt/Graz/Wien) durchgesetzt. Ihre Lösung: Das bestehende Gebäude, von dessen bau-handwerklicher Qualität (jedenfalls an der Außenhülle) sie felsenfest überzeugt sind, auszuhöhlen und um zwei Geschoße aufzustocken. Zuerst eine Ebene vorwiegend aus Glas, eine Art „Besucher-Wohnzimmer“ mit Gastronomie und eben jener Terrasse, von der aus man die atemberaubenden Blicke auf die Gebäude rund um den Karlsplatz genießen kann.
Über dieser Glas-Ebene scheint nun eine Kunsthalle zu schweben. Dort werden künftig die Sonderausstellungen ihren Platz finden. Dass die Wiener ihr rasch den Spitznamen „Matratze“ verpasst haben, hat mit der reichen Struktur des Betonblocks zu tun. Am heutigen Neuschnee-Tag hat man sich nur ein blasses Bild machen können, aber es wird schon stimmen, dass diese Strukturen je nach Sonneneinstrahlung haptische Qualitäten entwickelen. Jedenfalls sieht die Sache bei weitem nicht so drückend aus, wie die reine Masse – sechstausend Kubikmeter – vermuten ließe.
Warum zermalmt der Betonblock nicht den darunterliegenden Plattenbau mit nobler Fassade aus kroatischem Kalkstein? Die Träger, die diese unglaubliche Kubatur halten, hat man im Innenhof eingefügt. Von außen sind also keine Stützen sichtbar. Das hat Charme. Richtung Park ist ein Glas-Kubus ausgewölbt. Über dessen Plausiblität könnte man streiten. Es war wohl ein großzügiges Foyer vonnöten. Den architektonischen Clou hält der ehemalige Innenhof bereit. Den nutzte man, um gleichsam „hängende“ Stiegen (ebenfalls aus Sichtbeton) einzubauen. Dreihundert Quadratmeter Fläche hat diese zwanzig Meter hohe Halle. Das ist der Ort, in dem das Wien Museum einige seiner größten und idiomatischsten Schaustücke signalhaft positioniert.
Aus dem Untergeschoß wächst ein riesenhaftes Modell des Stephansdoms, eine kaiserliche Kutsche schwebt durch die Lüfte, die originalen Bronzen des Donner-Brunnens kontrastieren den präparierten Walfisch, der einst im Prater zu bestaunen war. Und dann sind da noch die alten Leuchtbuchstaben vom Südbahnhof. Worauf man bei diesem Museumsgebäude wohl zurecht mit Stolz verweist, ist die Nachhaltigkeit. „Geothermie war absolutes Neuland, als uns die Pläne 2014 erstmals vorgestellt wurden“, erinnert sich Museumsdirektor Matti Bunzl. Das technische Equipment war zwar up to date Ende der 1950er Jahre – jetzt hat man es dem Technischen Museum übergeben. Geothermit, Fotovoltaik, Begrünung auf dem Dach, Nutzung sogar menschlicher Abwärme, Lehmverkleidungen der Wände: Damit sei man jetzt so autark wie nur möglich unterwegs, heißt es. Das Haus könnte angeblich ohne Energie von außen auskommen. Ein „grünes Museum“ also, zertifiziert mit dem Österreichischen Umweltzeichen.
Bei der Pressepräsentation hat ncht nur Kultur-Stadträtin Veronika Kaup-Hasler betont, dass das neue Haupthaus des Wien Museums am Karlsplatz für alle offen sein soll. Von „Aufenthaltsqualität in jeder Hinsicht“, sprach Kaup-Hasler. Das Wien Museum hat ja 19 weitere Standorte in den Bezirken. Hier jedenfalls gibt es freien Eintritt für die Schausammlung, nur für Sonderausstellungen muss man bezahlen. Der kostenlose digitale Guide ist auch in Türkisch und in den Sprachen Ex-Jugoslawiens zu haben. Von einer „nie dagewesenen Demokratisierung des städtischen Kulturerbes“ spricht Wiens Bürgermeister Michael Ludwig. Da ist also das „rote Wien“ ganz bei sich selbst und volksnah unterwegs. Das kostet: Für 2024 ist ein Betriebsaufwand von 27,5 Millionen Euro (für alle Standorte des Wien Museums und die beiden Depots wohlgemerkt) veranschlagt.
Zum zweiten Teil - Die Schausammlung Warum sogn's zu dir Tschusch?