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Ein saftiger Kuss von Frau Tartuffe

WIEN / BURGTHEATER / DER TARTUFFE

28/01/25 News und Fake News – die gehen nicht erst heutzutage wüst durcheinander. Wer so genau hinsieht und vor allem hinhört auf die Gesellschaft rund um Orgon und Tartuffe wie Barbara Frey jetzt im Burgtheater, kann gar reizvolle Ungereimtheiten entdecken.

Von Reinhard Kriechbaum

Mag ja sein, dass Orgon, einfältig und verblendet wie er ist, dem Tartuffe fast zwangsläufig auf den Leim geht. Und dass tatsächlich alle anderen mit Ausnahme von Orgons Mutter von vorneherein das scheinheilige Spiel des Frömmlers durchschauen und wortreich dagegen halten. Aber genau dieser vermeintlich sonnenklaren Gut-Böse-Polarisierung misstraut Barbara Frey. „In unserer Probenarbeit untersuchen wir gerade alle Figuren darauf, wie viel Tartuffe in jeder von ihnen steckt“, hat Ines Marie Westernströer, neues Ensemblemitglied an der Burg, in einem Interview vorab gesagt. Barbara Frey hilft mit durchaus krassen Übertreibungen nach, so dass sich alsbald abzeichnet: Einen Gebrauchtwagen möchte man keinem und keiner in dieser Gesellschaft abkaufen.


Logisch: Alle Neugier richtet sich auf Bibiana Beglau in der Titelrolle. Ihr Tartuffe ist weit mehr als ein frommer Sprechblasenjongleur. Beglau hebt kaum einmal die Stimme, sie orchestriert im Leisen ihre Argumente, wobei sie wichtige Wörter und Formulierungen in tieferem Register Nachdruck verleiht. Diesem Falschsprech-Singsang ist nicht zu trauen, und tatsächlich hat es schon in den Akten eins und zwei gar nicht danach ausgesehen, dass Orgon sich seiner Sache wirklich sicher ist. Ob er nicht selbst zumindest leise Zweifel hegt? Ob sein grenzenloses Vertrauen Tartuffe gegenüber wohl begründet ist? Fast verlegen nestelt Michael Maertens an der Brille herum, die er in Händen hält, wenn er sich wieder mal zur Verteidigung des neuen Hausgottes genötigt sieht. Rasch gerät dieser Orgon in fast hysterisches Kreischen, um nur ja Argumente nicht hören oder gar entkräften zu müssen. Da bestätigst sich so recht Molières Kunstgriff, die Titelfigur erst im dritten Akt auftreten zu lassen: Man ist aufrichtig gespannt auf Tartuffes erscheinen.

Schwingt gar so etwas wie Erotik mit in der Männerfreundschaft? Nachdem Tartuffe das erste Mal aufgeflogen ist mit seiner Begierde nach Orgons Ehefrau und er gerade nochmal mit psychologischen Tricks den Hals aus der Schlinge bekommen hat, umarmt Maertens die Beglau. Orgon zieht Tartuffe das Sakko aus, und Tartuffe quittiert das mit einem saftigen Kuss „unter Männern“.

Das Täuschen und Blenden: Das hat Maria Happel in der Rolle der Elmire mindestens so gut drauf wie Tartuffe selbst. Wie Orgons Ehefrau die Überaschte mimt, wenn Tartuffe mit seinen Avancen anrückt, wie Maria Happel jedes ihrer Worte mit völlig gegensätzlicher Mimik und Gestik paraphasiert: Das ist eine schauspielerische Klasse für sich. Man möchte gar nicht glauben, dass Elmire bisher so ganz und gar unbedarft dem Gang der Dinge zugeschaut haben sollte. Mag leicht sein, dass auch sie ein böses Spiel treibt, dass es zwischen den Eheleuten unausgesprochene Rechnungen zu begleichen gibt.

Schier grandios auch Barbara Petritsch als Madame Pernelle. Die hat sich Pelzmantel- und mütze wie einen Schutzpanzer angezogen, um Tartuffes Falschheit nicht ansehen zu müssen. Ihre eröffnende Suada kommt mit einer Schärfe, die an einen Monolog von Thomas Bernhard denken lässt.

Das Bizarre hat System in Barbara Freys Figurenzeichnungen. Bei Dorine (Katharina Lorenz), der Hausangestellten mit dem losen Mundwerk, scheinen die schier nicht einzubremsende Eloquenz und das Humpeln so gar nicht zusammen zu gehen. Schwager Clèante (Markus Scheumann) hat einen Extrabauch umgeschnallt bekommen und trägt seine unermüdliche Besserwisserei entsprechend ungelenk und mit rauer Stimme vor. Dieser tolpatschige Moralapostel scheint selbst nicht viel besser als der schmächtig-gewandte Tartuffe. Fast schon skurril: Ines Marie Westernströer überragt als Tochter Mariane ihren alles andere als anziehenden Heiratskandidaten Cléante (Sarah Viktoria Frick) um anderthalb Köpfe. Frick übernimmt dann noch die ebenfalls als Knallcharge angelegte Rolle des Gerichtsvollziehers Loyal und – im stark eingekürzten „lieto fine“ – jene des Polizisten. Am Ende hat in Barbara Freys Lesart Tartuffe keinen Auftritt mehr, von seiner Enttarnung und der Moral von der Geschicht' wird bloß erzählt.

Das Setting: mehrere Schiebewände, hinter denen manchmal große Glasfenster sichtbar werden, über die sturzbachartig Regenwasser fließt. Einzige Requisiten sind zwei simple Sitzgelegenheiten, auf denen es manchmal bedrohlich eng her geht. Fast immer zugegen ist ein Bühnenmusiker (Klavier, Melodica). Die Musik hilft sehr, das Tempo insgesamt einzubremsen, und das kommt der Konzentration auf den Text in gebundener Sprache (Übersetzung von Simon Werle) sehr zugute. Das Ganze wirkt wie einem Film von Tati entsprungen, umwerfend komisch und zugleich analytisch, ja sezierend gefasst.

www.burgtheater.at
Bild: Burgtheater / Tommy Hetzel

 

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