Der Kaiser konnte mit den Augen rollen
WIEN / KHM / DANIEL NEUBERGER
14/03/25 Solche Betriebsamkeit herrscht im Totenreich wohl nicht alle Tage, aber schließlich liegt auch nicht so oft ein prominenter Habsburger im Ornat aufgebahrt da. Jedenfalls haben die Skelette Ausgang und sie tragen alles mögliche mit sich, was uns nachdrücklich an die Vergänglichkeit erinnern soll.
Von Reinhard Kriechbaum
Da findet sich also ein Posaune spielender Knochenmann. Ein Schreiber mit Tintenfass und Feder wird wohl demnächst gute und böse Taten des Verblichenen auflisten. Ein Skelett schnupft Tabak aus einem muschelförmigen Gefäß, ein anderes hält einen verwelkenden Blumenstrauß in den knöchernen Händen. Das alles wäre so verwunderlich nicht, fände das Gedränge, bei dem man fast das Klappern der Knochen zu hören vermeint, nicht in einem kleinen Guckkasten Platz. Die sagenhaft filigranen Skelette sind keine Handspanne groß.
Daniel Neuberger (1621–1680) war der famose Künstler, der jeden einzelnen Knochen, jede Rippe mit akribischer anatomischer Genauigkeit geformt hat, indem er Bleidraht in Wachs getaucht und es mit feinstem Werkzeug weiter modelliert hat. Das Kunsthistorische Museum erinnert an diesen erfindungsreichen Künstler, der eine Sache zum Lebenszweck erhoben hatte: aus Wachs Dinge vorzutäuschen, die seine Kollegen im Normalfall aus kostbareren Materialien schnitzten.
Zwischen 1650 und 1663 war Daniel Neuberger am Kaiserhof als Wachsbossierer und Porträtist für die Kaiser Ferdinand III. (das ist jener, den die Skelett-Männchen umtanzen) und dessen Söhne Ferdinand IV. und Leopold I. tätig. Hier entstanden auch seine Hauptwerke. 1663 stellte Leopold I. diesem Meister des Fakes (Kunsthistoriker sagen dazu nobel „trompe l'oeil), ein Patent aus: „Unterschiedliche Wissenschaften und khunsten“ habe der Meister der Wachsformerei erfunden, nämlich die Imitation von „helffenbein, eyßen, metall, marmorstain, holz, perlmuetter, corallen“ – und das so, dass man oft selbst auf den zweiten Blick hin nicht erkennt, dass da einer mit durch und durch unedlem Material Wunderwerke gezaubert hat, die einen staunen lassen. Mehrere Wachs-Bravourstücke Neubergers liegen neben Originalen anderer Künstler, also neben Elfenbein- oder Buchsbaumholz-Schnitzerei.
Daniel Neuberger hat die Kunst der Keroplastik (Wachsbildnerei) um gefinkelte Methoden erweitert. Die Beigabe von Harzen machten das Wachs fester, von Fetten geschmeidiger. Kreide, Stärke und Quarzmehl veränderten ebenfalls Aussehen und Formbarkeit.
Und dazu die Farbgebung durch Zusatz von Pigmenten! Feinste Achatschnitzerei zeichnet sich durch lebhafte Farbnuancen des Materials aus – Neuberger hat das aus Wachs so hingekriegt, dass selbst Fachleute kaum einen Materialunterschied merken.
Das meiste spielt sich im Miniaturformat ab. Kaum so groß wie eine Zündholzschachtel ist jede der sechzig Szenen aus Ovids Metamorphosen in einem setzkastengroßen Holzrahmen. Unglaublich, wie fein da nicht nur die Figuren, sondern auch die Pflanzen und Bäume gearbeitet sind. Eigentlich ist das ohne Lupe gar nicht zu würdigen, aber man kann es in Vergrößerung auf einem Bildschirm ansehen und kommt aus dem Staunen nicht heraus ob der kleinen Wunder.
Daniel Neuberger war aber auch ein gefragter Wachs-Porträtist. Man wusste von einem Kaiserautomaten, der die Zeitgenossen verblüffte: Der Regent in Madame-Tussauds-Manier! Der konnte die Augen rollen und den Kopf drehen, eine perfekter Augen-Täuschung. Man glaubte dieses Wunderwerk bisher zur Gänze verloren. Aber in den vergangenen Jahren hat man sich im Kunsthistorischen Museum eine Büste von Leopold I. genauer angesehen und das Wachsporträt mittels Computertomographie durchleuchtet. Tatsächlich fanden sich Reste einer Automatik. Kein wirklicher Beweis, dass dies der Kopf des Kaiserautomaten ist, aber die Annahme liegt nahe.
Nur ein Bruchteil vom Schaffen Daniel Neubergers ist auf uns gekommen, die fünfzehn hier ausgestellten Werke (alle im Besitz des Kunsthistorischen Museums) entsprechen etwa drei Viertel des erhaltenen Bestands. Wachs ist eben sehr vergänglich. Nicht nur die feinstgliedrigen Skelette stellen die Kunstkammer-Restauratoren in Wien vor knifflige Aufgaben.
Immer wieder verblüfft der Detailreichtum. In einem kleinen Relief hat Neuberger sich selbst dargestellt. Man erkennt an den Händen jede Ader unter der Haut. Der Künstler hat sich umgeben mit Saturn (Chronos) und Minerva, die soeben dem Neid den Kopf abgeschlagen hat. Um seine Fähigkeiten als Wachsbossierer ist Daniel Neuberger wohl tatsächlich einst sehr beneidet worden.
Wachs in seinen Händen. Daniel Neubergers Kunst der Täuschung. Bis 9. Juni in der Kunstkammer der Kunsthistorischen Museums Wien – www.khm.at
Bilder: dpk-krie