FESTSPIELE / CONCERTGEBOUW ORCHESTRA / MÄKELÄ

22/08/25 Man muss sich natürlich wünschen, dass Franz Schubert seine Symphonie D-Dur 936A hätte vollenden können. Es war das letzte Werk, an dem er in den Monaten vor seinem Tod am 19. November 1828 in Wien gearbeitet hat. Er ist weit gekommen. Hätte Schubert das Werk vollendet, hätte Luciano Berio nicht sein überwältigendes Rendering für Orchester geschrieben.

Von Heidemarie Klabacher

Heitere Sommerstimmung kippt in nebelige Leere. Den hoffnungsvollen Blick ins Weite verhängen graue Wolken. Aber auch das Gegenteil ist im Stück Rendering für Orchester von Franz Schubert/Luciano Berio immer wieder der Fall: Der flirrende Klang des Nichts weicht symphonischer Fülle. Das harmonisch und strukturell nicht greifbare Klanggewebe Berios bündelt sich in einem tragfähgien Ton, aus dem heraus etwa im ersten Satz ein grandioser Posaunenchoral Schuberts herausblüht. Landlerische Heiterkeit ist mehr zu ahnen, als zu hören, und wird im im nächsten Moment auch schon wieder zertrümmert.

Große Teile von drei Sätzen sind vorhanden. Luciano Berio (1925-2003) hat die Lücken gefüllt. „Zement“ nannte er selber sein Klangmaterial mit leitmotivischer Celesta, mit dem er die Schubert'schen Originalpassagen verbunden hat. Die Uraufführung der ersten beiden Sätze spielte 1989 in Amsterdam das Royal Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Alle drei Sätze der „Restaurierung von Schuberts symphonischem Fragment“ spielte das Orchester 1990 unter der Leitung von Riccardo Chailly.

Am Donnerstag (21.8.) im Großen Festspielhaus überwältigte das Royal Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Klaus Mäkelä mit diesem Klang-Fresko, in dem die Füllungen, wie nach einer zeitgemäßen Renovierung in der Baukunst, deutlich erkennbar sind.

Die erhaltenen „Originalfarben“ wirkten in der dynamischen Lesart von Klaus Mäkelä umso kräftiger, die Übergänge zwischen den Welten selbstverständlich und organisch. Das betörend schöne und betörend schön gespielte Oboensolo im trauermarsch-artigen Andante! Alleine oder zusammen mit Flöte, Fagott oder Horn taucht es immer wieder aus den trägen Schlieren des „Zements“ auf, jede Phrase ein Stich ins Herz. Der Trauermarsch aus Gustav Mahlers Fünfter, die als zweites Werk des Abends erklingen sollte, war hier bereits vorausgedacht. Tatsächlich war die Wirkung der Schubert/Berio-Interpretation so stark, dass man auch in der Symphonie Nr. 5 cis-Moll immer wieder einmal das graue Flirren erwartet hat.

Auch hier mitreißende Dynamik und Agogik. Etwas „wienerischer“ hat man sich den Trauermarsch gewünscht. Der bizarre dritte Satz, wie ein Felsbruch auf das Publikum losgelassen. Danach erklang, wie eine Botschaft vom Frieden auf Erden, das Adagietto. Jubel nach dem triumphierenden vielgestaltigen Rondo-Finale. Jubel für das Royal Concertgebouw Orchestra unter Klaus Mäkelä mit Schubert/Berio und Mahler wie aus einem Guss.

Das Konzert wurde vom ORF aufgezeichnet und wird am 29. August um 19.30 auf Ö1 gesendet.
Bilder: Marco Borrelli