Wilde Jagd durch böhmische Gefilde

FESTSPIELE / ÜBER DIE GRENZEN 6

07/08/12 Die Ruhe selbst war nur einer der fünf meisterlich musizierenden Individualisten, die das Letzte aus vier böhmischen Kammermusikwerken herausholten: der Bratschist Lawrence Power. Alina Pogostkina lächelte bei Josef Suk abgeklärt, aber die übrigen Solisten waren sich einig in der Parforcejagd: Joshua Bell (Violine), Steven Isserlis (Violoncello) und Dénes Várjon (Klavier).

Von Hans Gärtner

Sie alle rissen das sich durch verwunderndes Kopfschütteln über derart geballte Impulsivität lautlos äußernde Publikum im nicht ganz voll besetzten Großen Saal des Mozarteums zu Begeisterungsstürmen hin. Dennoch erklatschte es sich keine Zugabe.

Warum sich zügeln, mochte sich vor allem der Cellist gesagt haben. Bekannt für seine suggestive Art draufgängerischen, enthusiasmierenden Musizierens, war Steven Isserlis schon als Verbund-Kämpfer im eingangs gespielten Klavierquartett a-Moll, Josef Suks Opus 1, die treibende Kraft. Mit strikter Unbedingtheit  wollte er demonstrieren, was in dem expressiven Dreiteiler des gerade einmal Siebzehnjährigen Böhmen steckt: glutvolle Leidenschaft im fliegenden Wechsel mit herber Süße, auf die sich der leichtfüßig-perlende Pianist und Pogostkinas zupackender Geigenstrich gern einließen.

In Bohuslav Martinùs Cellosonate Nr. 2, 1941 in Long Island entstanden, hatte Steven Isserlis sich wie Dénes Várjon verknallt. Sie musizierten in schöner Einigkeit das Stück rauschhaft, verwegen. Martinù formulierte Gedankenschwere und Glüblerisches. Isserlis griff das Düster-Verhangene auf, blies schon das erste Adagio zum Vivace auf, übernahm aber das vom Pianisten getreu wiedergegebene Largo in träumerischer Weise und führte es in satte, geschmeidige Tiefen. Vom gebrochenen Schlussakkord ging`s direkt ins Gewittergrollen.

Dieser fulminante Virtuose war, wer sagt`s denn, doch noch zu toppen: von Joshua Bell, dem Wunderkind aus Indiana, das nun – man merkt es dem Jüngelchen nicht an – auch schon 45 Jahre zählt. In zwei Stücken darf Bell glänzen und sein überragendes Können beweisen: in Leos Janáceks Violinsonate von 1922 und, nach der Pause, in Antonin Dvoráks Klavierquartett Es-Dur op. 87. Gewann Bell beim sperrigen, geisterhaften Janácek mit gläsern-brillanter Kleinteilmanier, pikanten Pizzikati und einem stürmisch-schmissigen Schluss, kostete er genüsslich Dvoráks romantisierende Lyrismen aus, warf sich bei aufwühlend-dramatischen Passagen in die Brust, verhinderte, auch dank der zwar schwelgerischen, aber (was selbst auf Isserlis zutrifft) nie überschwänglichen Partner (insonderheit des herrlich präsenten Pianisten) dickes Pathos und erfrischte, auch wenn in Schweiß gebadet, das aufgekratzte Publikum mit seinem nicht zu (s)toppenden Enthusiasmus.

Hörfunkübertragung am  27. August um 10.05 Uhr in Ö1. – In Folge 7 der Serie „Über die Grenze“  morgen (8.8) um 19.30 Uhr im Mozarteum begeben sich die fünf Instrumentalisten der Sonderklasse wieder auf böhmisches Gelände: mit Kammermusik von Dvorák, Janàcek und Smetana. - www.salzburgerfestspiele.at
Bild: dpk-Hans Gärtner (1); SF/Silvia Lelli (1)
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