Hausbesuch also bei einer, die gleich in einem der ersten Sätze von sich selbst höchst glaubhaft versichert: „Ich hinterziehe mich lieber selbst, bevor ich etwas hinterziehe.“ Auf die sich bekannterweise der Öffentlichkeit hinterziehende Elfriede Jelinek ist dereinst der Verdacht gefallen, Steuern hinterzogen zu haben. Mit ihrem (unterdessen verstorbenen) Mann lebte sie abwechselnd in Wien und in München und in Deutschland, und da geriet sie – Stichwort Doppelbesteuerung – ins Fadenkreuz der Finanz. Die Causa ist zwar damals im Sand verlaufen, aber es blieb ein Text, in dem die Jelinek – wer hätte anderes erwartet – ausholt gegen die Institution Staat, gegen den sie sowieso mehr als misstrauisch ist.
Der Staatsvertreter, der sich – so viel Gerechtigkeit muss sein – „seinen Staat nicht aussuchen kann, den er vertritt“, ging also weiter als bis zur Türschwelle. Private E-Mails wurden damals gelesen, Festplatten geprüft, Rechnungsbelege kritisch beäugt. „Nein, verfolgt wurde ich nicht, verfolgt wurden andere.“ Schon sind wir bei den Vorfahren, jenen des jetzigen Staates und jenen aus der eigenen Familie. Beim Opa etwa, dem „mittellosen Buchbinder im Versteck mit anderen“. Ein alter Jammerer, oh Gott! „Hierhin wollte er nicht, dorthin wollte er nicht, in ein sicheres Drittland wollte er nicht, es hätte sich ihm auch keins angeboten, ins KZ wollte er auch nicht.“ Kapriziös wie seine Enkelin eben, die einen Halbsatz später (Jelineks Sätze sind wie man weiß zum Fürchten lang und umschnüren dicke Gedankenbündel) von religiösen Bekenntnissen schreibt, „die kein Gott je hören oder erhören wollte“.
Wie zumeist bei Jelinek geht es in „Angabe einer Person“ darum, die lawinenartig losbrechenden Buchstabenkaskaden zu verteilen. Bei der Uraufführung im Deutschen Theater Berlin hat Jossi Wieler das streng und schnörkellos gehandhabt. Die fast zwei Generationen jüngere Sara Ostertag setzt in St. Pölten, im Landestheater Niederösterreich, erst mal auf üppigen Barock, auf drei Damen und einen Herrn in üppigen Krinolinen und mit hochtoupiertem Haar. Drei sind auf Zuschauerseite in den Logen, eine, die Beschuldigte (Julia Kreusch), auf der Bühne. Verlegen nestelt sie an den eigenen Fingern herum. Auf die bohrenden fragen reagiert sie aber auch immer wieder trotzig und angriffig. Die echten Steuerhinterzieher sind natürlich andere. Jelinek, die Zeitchronistin, weiß genug Fälle in Deutschland (Cum-Ex) oder Österreich (Meinl-Bank) oder international (Wirecard). „Vor lauter Händewaschen in Unschuld geht das Wasser aus.“
In der Loge rechts vorne amtiert die persische Sängerin und Musikerin Mona Matbohu Riahi, singt sanfte Volkslieder aus der alten Heimat. Pure Naturpoesie, versteht man nicht, aber die Aura nimmt man wahr. Sanfte Elektronik zum hauchenden Gesang. Dann: „O Haupt voll Blut und Wunden“ auf der Klarinette. Da bläst sich auf der Bühne ein Hüpfburg-ähnliches Ding auf, eine eher labile Tempelfassade, die immer wieder nach vorne kippt, fast auf die ersten Stuhlreihen. Auf dem Ding lässt sich aber auch ganz weich liegen, wie in einer Steueroase eben. „Hauptsache, das Gold ruht gut und sicher und wälzt sich in der Nacht nicht schlaflos herum“.
Nanna Neudeck hat eine Prospekt-Bühne erdacht, die immer größer wird. Vorhang um Vorhang geht hoch. Gewänder zuhauf fallen herunter. In diesen Stoffbergen wühlen die Protagonisten und es entwickelt sich ein Verkleidungsspiel (Kostüme: Prisca Baumann). Das ist alles so reich an Assoziationen wie Jelineks jähe Gedankensprünge. Die Riesen-Textfläche ist in viele kleine Dialoge zerschnipselt, und das Ensemble – Bettina Kerl, Julia Kreusch, Lara Laufenberg, Julian Tzschentke – macht das mit gutem Timing und in präziser Sprache. Man bewahrt viel Übersicht in den sich dahin schraubenden Gedanken- und Zeitspiralen.
Nach mehreren hochgezogenen Vorhängen wird eine Karton-Mauer sichtbar. Steuersünder oder jüdische Verfolgungsopfer an der Klagemauer? Sie wird eingetreten und zerrissen. Ganz zuletzt der Blick auf ein riesiges Vogelnest im Bühnenhintergrund. Endlich so etwas wie eine sichere Heimat? In den Vogelmenschen da drin sollten wir eher diebische Elstern argwöhnen, die gefährlich krächzen: „Waren wir schon bei den Jelineks?“ Mag sein, dass die Finanzbeamten im Ernstfall ähnlich schnell fliegen wie die Steuerflüchtlinge, aber ganz so genau kann man das nicht sagen. Das Schaubedürfnis jedenfalls wird hinlänglich bedient in dieser Aufführung, in der das Sprunghafte im Text bildlich einprägsam gefasst ist.