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Jelineks Hausgötterdämmerung

WIEN / JELINEK / BURGTHEATER

19/05/25 Draußen weht die schwarze Flagge für Elisabeth Orth, Tochter von Attila Hörbiger und Paula Wessely. Drinnen spielt man Burgtheater, Elfriede Jelineks Abrechnung mit der Nicht-Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit eben der Hörbiger/Wessely-Dynastie. Milo Rau hat den von der Jelinek eigentlich mit Aufführungsvebot belegten Text locker gemacht.

Von Reinhard Kriechbaum

1985 wurde Burgtheater in Bonn uraufgeführt. Weit weg, aber in Österreich allemal für allergrößte Aufregung gut. „Damals habe ich meinen guten Namen verloren und war abgestempelt für den Rest meines Lebens“, so die „Nestbeschmutzerin“ Elfriede Jelinek im Gespräch mit Milo Rau. Nur einmal durfte das Stück in Österreich aufgeführt werden, vom „Theater im Bahnhof“ in Graz (also weit vom Schuss). Jetzt, vierzig Jahre nach der Uraufführung, dafür am denkbar exponiertesten Ort, quasi inmitten der Zielscheibe.

Die Nazi-Causen Wessely/Hörbiger sind unterdessen hinlänglich aufgearbeitet und keine Geheimnisse mehr. Das war in den frühen 1980er Jahren anders. Aus gutem Grund hat selbst Claus Peymann, der Provokation niemals abgeneigt, als Burgtheaterdirektor von Jelineks Hausgötterdämmerung die Finger gelassen. Jetzt jedenfalls keine Aufregung mehr, sondern ungeteilte (wenn auch nicht wirklich euphorische) Zustimmung für Milo Rau und die Schauspielercrew, die sich ausgiebig selbst eingebracht hat. Es wäre nicht Rau, wenn's anders wäre.

Was für ein Trio infernal! Birgit Minichmayr als Paula Wessely, Caroline Peters als Attila Hörbiger, Mavie Hörbiger als Paul Hörbiger (ihr Großvater). Elfriede Jelinek hat ihnen andere Namen verpasst, aber es ist sonnenklar, wer gemeint ist. Eine artifizielle Kunstsprache hat sie den Figuren gegeben, angelehnt an unterschiedliche Idiome. Man dürfe aber – so die Autorin – „nicht in die echte Mundart hineinfallen“. Keine Gefahr. Milo Rau lässt die Jelinek-Abschnitte, die gut die Hälfte der Spieldauer ausmachen, quasi als Satyrspiele ablaufen, in extrem schrillem Ton, mit krasser Outrage, meilenweit über die Grenzen bloß karikierender Überhöhung hinaus.

Diese Bizarrerien bedingen eine gewaltige Fallhöhe zu den neu entstandenen Texten und Spielszenen. Es haben ja auch andere im Ensemble etwas zu sagen, nicht nur Mavie Hörbiger, die über ihren Großvater Paul – vom Regime zelebriert seinerzeit als „Gottbegnadeter“ – reflektiert. Das ist einer der ruhigen, gar berührenden Momente des Abends. Caroline Peters erinnert sich an die Bonner Uraufführung. Da saß sie als Teenie drin, war mächtig schockiert und hat das Vorstellungsende nicht erlebt.

Andere bringen eigene Schauspieler-Erfahrungen ein. Die Ungarin Annamária Láng erzählt davon, dass sie angesichts des Orban-Regimes erfreut zugegriffen habe, als man im Burgtheater ein inklusives Ensemble aufbaute. Aber sie habe letztlich doch nur ungarische Dienstmädchen spielen dürfen. Itay Tiran berichtet von seinem eigenen Burgtheater-Debüt als Shylock – und erinnert daran, dass am selben Haus einst Werner Krauß in dieser Rolle den Antisemitismus befeuerte.

Eine wichtige Figur in Jelineks „böser Posse mit Gesang“ ist der Alpenkönig. Bei Raimund eine Figur, die letztlich alles zum Guten wendet. Hier agiert Safira Robens in dieser Rolle nicht nur erfolglos, sondern mit letalem Ende: Der Alpenkönig sammelt Geld für den Widerstand, ausgerechnet bei der tiefbraunen Schauspielerfamilie. Er wird kurzerhand erstochen und die Leiche unter dem Tisch zerstückelt. Die Handkamera ist wie so oft an dem Abend hautnah dabei.

Safira Robens ist auch die Hauptakteurin in einer weiteren Schockszene. Für ihre Zitate von Hannah Arendt und anderen wird sie von Neonazis gefoltert, durch Abziehen der Fingernägel.

Milo Rau hat unglaublich viel hineingepackt (oder hineinpacken lassen) in diese pausenlosen 140 Minuten. Es sind nicht nur optisch Wimmelbilder, in denen man sich erst zurechtfinden muss. Man wird zwischen den Jelinek-Episoden und jenen, in denen die Schauspieler ganz sie selber sind, auch mit einem Gedanken-Sammelsurium zugeschüttet, dass man beinah nach Luft japst. Ob Überlegungen zur Stück-Dekonstruktion und Schauspieler-Selbstermächtigung nicht verzichtbar gewesen wären? Es ist freilich viel Selbstironie drin, aber es lenkt dann doch eher ab vom eigentlichen Thema.

Anton Lukas hat mehrere Raumsegmente auf die Drehbühne gebaut. Da ist ein museumsartiger Raum, in dem Porträts und Rollenbilder der Hörbigers hängen. In einem anderen bildet ein Hitler-Bild das Zentrum. Und da sind Kantine und ein Schminktisch, wo das Ensemble seine eigenen Befindlichkeiten ausbreitet.

Der Alpenkönig und sein Begleiter (ein junger Mann, der die Rolle des „Mitläufers“ einnimmt), sind zugleich Podcaster, womit nicht nur ein Anflug von Rahmenhandlung entsteht, sondern auch eine weitere Gedanken- und Reflexionsebene eingezogen wird. Geradlinigkeit und Übersicht sind keine Tugenden dieser Aufführung.

Ob Jelineks Burgtheater-Text, ein Sprach- und Sprechkunstwerk, im allgemeinen Tohuwabohu des gut Gemeinten nicht zu kurz kommt? Tatsache ist wohl, dass vor allem das jüngere Publikum kaum mehr vertraut ist mit den seichten Produkten der Unterhaltungs-Filmindustrie, die genau jene Chiffren, die in der Nazizeit zwecks Propaganda und Ablenkung entwickelt wurden, nach dem Krieg ziemlich unreflektiert aufgegriffen und weiterverwendet hat. Die Brisanz von Jelineks Burgtheater erschließt sich jüngeren Zusehern nicht mehr zwangsläufig. Das artifizielle Stück wirkt dann doch nach vier Jahrzehnten reichlich angejahrt.

Milo Rau entlässt uns nicht mit Jelinek, sondern einem etwas trivial belehrenden Epilog. Die Schauspieler besprechen, was sie nun mitnehmen von dem gemeinsam erarbeiteten Abend. „Burgtheater-Schauspieler sein heißt aufpassen, welche Haltung gerade angesagt ist.“ Und im Theater gebe es alleweil die „Hoffnung der Minderheit gegen die Mehrheit“. Wer hätte das gedacht. Zuletzt steht das ungarische Dienstmädchen allein da, mit blutbesudeltem Kleid. Sie beschreibt einen Schachautomaten, bei dem oben eine Puppe steht – „aber spielen tut ein anderer“. Einer, der versteckt agiert. Ja, das Problem ist schon richtig erkannt.

Aufführungen bis 20. Juni – www.burgtheater.at
Bilder: Burgtheater / Tommy Hetzel

 

 

 

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