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Atonale Götzendämmerung

BUCHBESPRECHUNG / KORNGOLD

30/12/20 Vater Korngolds Lieblingsfeinde waren Ernst Krenek, dessen chamäleonhafte Wandlungen in den 20er-Jahren zwischen Jazzoper und, Schubert-Anverwandlung ihm gar nicht gefielen, und Paul Hindemith, dessen „atonal kokettierende Klänge mit eingefügten falschen Tönen“ ihm Kummer bereiteten... Ein erhellendes Buch über Julius Korngold, ein Gemeinschaftsprodukt aus Berlin und Salzburg.

von Gottfried Franz Kasparek

Bartók behält die charaktervolle Konsequenz in seinen Irrtümern etwa gleich einem Alban Berg bei. Aber die Ursprünglichkeit seiner musikalischen Kräfte vermag einen gewissen Ausgleich herzustellen. Die Gebilde bleiben abwegig. Aber ein überragendes Geistiges hält die Verbindung zu ‚Musik’ aufrecht.“

So schreibt kein geifernder Feind jeglicher Avantgarde. Und Julius Korngold war nicht nur der Wunderkind-Vater von Erich Wolfgang, sondern ein stilistisch glänzender Musikjournalist, Starkritiker der Wiener „Neuen Freien Presse“ von 1902 bis 1934 als zunächst Adlatus und ab 1904 Nachfolger Eduard Hanslicks. Sein Urteil galt viel und war oft heiß umstritten. Natürlich, die klassisch-romantische Tonalität war sein Maß aller Dinge, Mahler und Strauss waren deren äußerste Grenze. Debussy akzeptierte er zähneknirschend, aber er anerkannte besondere Begabungen und hörte selbst in seinen Irrtümern sehr gut. Einer seiner größten Irrtümer war, und da war er sich einig mit einem Gegenpol wie Theodor W. Adorno, die verständnislose Verurteilung des Jazz. Sonst steckt oft das sprichwörtliche Körnchen, mitunter ein Korn Wahrheit in seinen Schriften.

Die Faksimile-Ausgabe der im Titel an Nietzsche angelehnten „Atonalen Götterdämmerung“ hat eine abenteuerliche Geschichte hinter sich. Korngolds Kompendium aus alten Rezensionen und neu Verfasstem sollte im Frühjahr 1938 bei Doblinger in Wien herauskommen. Dazu kam es wegen des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland nicht mehr. Der 78-jährige Autor, jüdischer Abstammung, emigrierte wie der Großteil seiner Familie in die USA, wo er 1945 verstarb. Von seinem letzten Werk wusste man zwar, aber es galt als verschollen. Doch 2002 tauchte im berühmten Archivkeller des Musikverlags Doblinger in Wien ein gedrucktes Korrekturexemplar auf, versehen mit handschriftlichen Anmerkungen des Autors. Der Salzburger Linguist und Musikdramaturg Oswald Panagl und der deutsche Musikwissenschaftler Arne Stollberg haben sich der Sache angenommen und die Erstveröffentlichung im Verlag Königshausen & Neumann mit fundierten, spannenden und erhellenden Kommentaren versehen.

Korngolds „Lieblingsfeinde“ waren Ernst Krenek, dessen chamäleonhafte Wandlungen in den 20er-Jahren zwischen „Jazzoper“, Schubert-Anverwandlung und Zwölftontechnik ihm gar nicht gefielen, und Paul Hindemith, dessen „atonal kokettierende Klänge mit eingefügten falschen Tönen“ ihm Kummer bereiteten. Doch andererseits konzedierte er beiden großes Talent, wie auch dem hassgeliebten Strawinsky, dem durchaus in kritischer Bewunderung oft in Grund und Boden rezensierten Schönberg und sogar Webern. Zu den scharfen Urteilen über die „Neumusik-Ismen“ bei Hindemith, aber auch zum Beispiel bei Prokofjew, Respighi, Casella, Ravel, Walton und Weill, ist zu sagen, dass Korngold nicht ahnen konnte, dass all diese „Klassiker der Moderne“ schon zwanzig Jahre später in Darmstadt als hoffnungslos altmodisch verfemt wurden.

Und sein Sohn? Er kommt namentlich nicht vor, aber wie heißt es im vorletzten Kapitel, einem fiktiven Gespräch mit einer für das Neue eintretenden jungen Dame? „Aber vielleicht vergeben sie mir, wenn ich überzeugt versichere, dass ich den jungen Musiker, um den es sich hier handeln könnte, für ein Talent halte, das gerade darum, gleich anderen Gesinnungsgenossen, heute oder morgen wieder auf derselben Sprachgrundlage komponieren dürfte wie zuletzt die Brahms, Mahler und Strauss.“ Worauf die Dame „errötet, nicht ohne besonderen Augenaufschlag“. Ein gewisser Schnitzler-Charme war dem hitzköpfigen alten Herrn auch eigen. Und, siehe Kommentare, in der Emigration vertrug er sich recht gut mit dem alte Kritiken mit Noblesse betrachtenden Schönberg und ging mit dem witzigen Hindemith immerhin auf einen Drink. Dass in der Musik von heute der atonale und serielle Weg längst nicht mehr als „alleinseligmachend“ gilt, ist ebenso festzuhalten, wie dass die 1938 vermutete und erhoffte „Götzendämmerung“ derselben halt auch nicht stattfand. Kurzum, ein fesselndes Zeitdokument und noch dazu ein echtes Lesevergnügen!   

Arne Stollberg und Oswald Panagl (Hg.) unter Mitarbeit von Lukas Michaelis: Julius Korngold: Atonale Götzendämmerung. Kritische Beiträge zur Geschichte der Neumusik-Ismen. Wien 1937. Faksimilie Erstveröffentlichung. Verlag Königshausen&Neumann, Würzburg 2019. 454 Seiten, 44,80 Euro - www.verlag-koenigshausen-neumann.de

 

 

 

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