FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT LEVIT
28/08/25 Wenn Igor Levit sich einschwingt vor dem Einsetzen oder seine Finger den Charakter des folgenden Stücks vorzittern lässt, ist das sicherlich nicht billige Attitüde. Nicht bei dem Ergebnis. Ein Abend in Himmel und Hölle am Mittwoch (27.8.) mit Werken von Schubert, Schumann und Chopin.
Von Erhard Petzel
Igor Levit präsentierte ein perfekt abgestimmtes Programm durch die Romantik, das den Himmel eröffnete. Mehr kann man zu seinem Spiel von Schuberts letzter Sonate für Klavier B-Dur D 960 nicht sagen oder schreiben, als dass es in Sphären führt, die unbeschreiblich sind. Hauchzart setzt sich das Thema in lebendige Bewegung, der Wirbel erstirbt zunächst. Das Pedal wird daraus eine Geisterstimme formen. Der große Aufschwung mit der Vorhaltkette aus einer diffizilen Durchführung, wonach das Thema unendlich traumverloren ausfällt. Dann setzt ein Zwischenapplaus ein, der vielleicht gnädig die angehende Hustenorgie abwürgt. Der nächste nach einem unendlich innigen Andante sostenuto ist dann völlig daneben, da hier einmal paradiesische Ruhe geherrscht hätte, die der emotionalen Kontemplation hätte dienen können. Das hingefegte Scherzo ist duftig leicht mit verstockten Gegenakzenten im Trio. Gewitzt durch die vorhergegangenen Ereignisse vermeidet Levit tunlichst missverständliches Innehalten und rauscht äußerst agil ins Allegro, womit drohender Applaus-Kanonade vorerst das Pulver entzogen ist. Die Zuhörer sind wieder aufmunitioniert nach dem furiosen Finale.
Das Spätwerk von Schubert ist heuer bei den Festspielen fulminant zum Zug gekommen. Dafür stehen die außergewöhnlichen Pianisten ein. Was in diesem Konzert mehr als sonst bei Solistenkonzerten störte, waren nachhaltig Geräusch produzierende Störenfriede. Dass manche hin und wieder daneben greifen beim Beifallspenden, sei geschenkt. Wer aber während überirdischer Musik ständig sein hartes Halsgekropfe aussenden muss, sollte für den Konzertsaal gesperrt werden. Vielleicht sollte Intendant Hinterhäuser in der Band-Durchsage nicht nur zum Ausschalten der Handys mahnen, sondern auch den nervösem, Aufmerksamkeit heischendem oder einfach rücksichtslosen Hustern ins Gewissen reden. Sie zerstören alles Schöne und Feine.
Doch mehr Ruhe bei den Nachtstücken op. 23 von Robert Schumann. Trotz langsamer Tempoangabe wird das Thema des ersten Stücks zum diskret knackigen Marsch. Die Zwischenteile kontrastieren im Legato mit Rückbezug auf das Ausgangsmaterial, ebenso korrespondierend die lebhafte und kontrastreiche Nummer zwei. Schließlich glaubt man bei Chopin gelandet zu sein, mit perlender Virtuosität, wogegen das letzte Stück als inniges Lied im Pianissimo erstirbt. Das bietet wieder eine herrliche Gelegenheit für einen Hust-Terroristen.
Wolfgang Stähr beschreibt im Programmheft den zerrütteten Zustand Schumanns, der seinen Nachtstücken ursprünglich programmatische Titel zu Trauer und Leichen verpassen wollte. Es ist ohne solche Hinweise hoch ansprechende und mitreißende Musik, von Levit vorgelebt.
Das nekrophile Werk-Trio wird dann mit Chopin und seiner Sonate h-Moll op. 58 vervollständigt. Der Komponist war zu der Zeit geplagt von Selbstzweifeln, beklagte Todesfälle in Familie und Freundeskreis. Das viersätzige Werk ist recht eigenwillig ausgeformt. Das Allegro maestoso verstört etwas, wenn zunächst einem Parlando Läufe rauf und runter jagen, mit scheinbar verworrenen Überleitungen. Aber die farbig verhaltenen, grüblerischen gesanglichen Abschnitte leuchten unter Levits Fingern überirdisch auf.
Das Scherzo ist ein aufgeregtes Gewurle mit liedhaftem Trio und fulminantem Schluss zum Auftrumpfen (soweit Levit eine solche Regung für sein Verhaltensrepertoire zulässt). Das Largo fast barock angehaucht als Ouvertüre mit bescheiden auftretenden Arien, lieblich und introvertiert. Das Finale rollt donnernd in atemberaubender Agitation vorbei und erweckt einen Publikums-Sturm. Die perfekte Draufgabe verstärkt das im Programm Erreichte.
Wie mag einem Künstler zumute sein, der sein Innerstes nach außen kehrt, mit voller Konzentration Grenzen auslotet und dann von Hörerseite Störsignale verkraften muss? Ist das die Hölle?
Bilder: SF / Marco Borrelli