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Soziale Gräben überwinden mit Perspektivenwechsel

HINTERGRUND / APROPOS / SPURWECHSEL

13/06/23 Seit Dezember 1997 erscheint die Salzburger Straßenzeitung Apropos. Die „Geschichten der Straße“ lassen sich aber auch erleben: Seit fünf Jahren führt Apropos-Verkäufer Georg Aigner auf den Stadtspaziergang Überleben. Nun führt Apropos-Verkäuferin Evelyne Aigner auf den sozialen Stadtspaziergang Spurwechsel.

Von Heidemarie Klabacher

„Es ist der erste soziale Stadtspaziergang mit einer Frau“, sagt Chefredakteurin Michaela Gründler über diesen „Spurwechsel nach 25 Jahren Apropos“. Man habe sich zum 25jährigen Jubiläum selbst dieses Geschenk gemacht: „Ein halbes Jahr lang hat die Redaktion gemeinsam mit Verkäuferin Evelyne Aigner diesen biographischen sozialen Stadtspaziergang erarbeitet.“ Evelyne Aigner informiert auf ihrer Tour nicht über Barock und Lebensdaten berühmter Männer, sondern „erzählt wie sich lange Tage gut bewältigen lassen, wo man günstig ein warmes Mittagessen erhält, wie man Anschluss findet und wie wichtig es ist, eine Aufgabe zu haben.“

Seit 1. Dezember 1997 erscheint Apropos als Hilfe zur Selbsthilfe: Menschen in Not kaufen die Zeitung um 1,50 Euro und verkaufen sie um drei Euro weiter. „Mit Apropos haben sie ein professionelles Medium, das von Journalistinnen und Journalisten gemacht wird und in dem sie sich in der Rubrik Schreibwerkstatt aber auch selbst ausdrücken können“, erklärt Michaela Gründler das Konzept. „Diese Sprachrohrfunktion ist in der Medienwelt einzigartig.“

Die Apropos-Leserschaft schätze das Eintauchen in fremde Lebenswelten. „Apropos möchte mit seinen Themen für die Anliegen von Menschen in Not sensibilisieren.“ Freundschaftliche Beziehungen zwischen den derzeit 120 Verkäuferinnen und Verkäufern in Stadt und Landsalzburg und deren Kundschaft seien entstanden. Wichtig für beide Seiten sei die gegenseitige Anteilnahme.

„Die Menschen stabilisieren sich in ihrer Lebenssituation durch den Verkauf, sie treten in Kontakt zu anderen Menschen, sie haben eine Tagesstruktur, sind in eine Gemeinschaft eingebunden und verdienen ein Zubrot oder auch ihren Lebensunterhalt.“

Ein ganz eigenes Format sind die Apropos-Stadtspaziergänge: Seit fünf Jahren ist es Apropos-Verkäufer Georg Aigner, der mit seinem Stadtspaziergang unter dem Titel Überleben ganz andere, als die touristischen Facetten der Mozartstadt in den Blick rückt, wenn er aus seinm Leben erzählt und davon, welche Rolle die einzelnen Stationen dabei spielen. Georg Aigner habe Hunderte von Menschen mit seiner Lebensgeschichte bei der Bahnhofstour Überleben berührt, berichtet Michaela Gründler.

Jetzt also gibt es eine zweite Tour, geführt von einer Frau. Von Georg Aigners Ehefrau, um genau zu sein. „Somit gibt es zusätzlich zum Stadtspaziergang Überleben mit Spurwechsel die erste soziale Tour geführt von einer Frau.“

Der neue Rundgang verknüpfe „Evelyne Aigners Lebensreise mit für sie wichtigen sozialen Institutionen“. Anders als bei der Tour ihres Mannes werde in manche Einrichtung auch hineingegangen. „Es ist ein besonderes Erlebnis, über die Schwelle zu schreiten und die Tagesaufenthaltsstätte Saftladen oder die Apropos-Redaktion erleben zu können“, sagt Apropos-Chefredakteurin Michaela Gründler. Die Pension Torwirt bietet akute Notversorgung von wohnungs- und obdachlosen Menschen, das Schmankerl täglich zwei Menüs zu günstigen Preisen.

„Wir alle sind begeistert, wie sich Evelyne von Mal zu Mal entwickelt und gesteigert hat. Es ist nicht leicht, fremden Menschen von persönlichen Krisen zu erzählen und sich verletzlich zu zeigen. Das erfordert eine große innere Stärke“, so Michaela Gründler.

Ehemann Georg Aigner, den sie bei seinen Touren bislang immer begleitet hat, habe sie zu einem eigenen Stadtspaziergang ermutigt, erzählt Evelyn Aigner. „Jetzt können die Leute sich beide Stadtspaziergänge anschauen und erfahren dadurch unsere gemeinsame Lebensgeschichte. Denn auf Georgs Überlebens-Tour haben sie mich immer gefragt, wie es mir gegangen ist, als Georg sieben Jahre im Gefängnis war und ich auf ihn gewartet habe. Wir haben uns täglich Briefe geschrieben. Insgesamt zweitausend.“ Evelyne Aigner erzählt während der Spurwechsel-Tour von ihrer Kindheit als Pflegekind, von Bewährungsstrafen und entmutigenden Arbeitserfahrungen sowie von ihren Erfahrungen als Straßenzeitungsverkäuferin und ihrer Hochzeit.

„Ich habe Evelyne letztes Jahr bei einer dreitägigen Weiterbildungs-Tagung für Soziale Stadtrundgänge in Basel erlebt“, erzählt Sybille Roter von den Sozialen Stadtrundgängen Schweiz, die zu Evelyne Aigners Presse-Stadtspaziergang aus Basel angereist ist. „Als Stadtführerin in Ausbildung war sie inspiriert von den vielen authentischen Lebensgeschichten über Armut, Einsamkeit und Ausgrenzung aus vielen Städten mitten in Europa. Soziale Stadtrundgänge würden die persönlichen Folgen von Ungleichheit sichtbar machen, indem Betroffene selbst zu Wort kommen. Der Perspektivenwechsel sei eine Chance Berührungsängste abzubauen und gesellschaftliche Gräben zu überwinden. Die letzten Jahre hätten gezeigt, ergänzt Christian Moik, der Geschäftsführer der Apropos-Trägerorganisation Soziale Arbeit gGmbH, „wie schnell Krisen entstehen und wie wichtig es ist, als Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen“.

Sozialer Stadtspaziergang Spurwechsel mit Evelyne Aigner – donnerstags 9.30 bis 11 Uhr, Treffpunkt Schallmooser Hauptstraße 38
Sozialer Stadtspaziergang Überleben mit Georg Aigner  Termine nach Vereinbarung, Treffpunkt vor dem Bahnhofs-Haupteingang 
Anmeldungen jeweils bei Michael Grubmüller unter – www.apropos.or.at
Bilder: Foto-Flausen

 

 

 

 

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