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Schweinernes mit Flachsen

FESTSPIELE / SHAKESPEARE / MASS FÜR MASS

18/08/11 Man ist bei Hofe, drum ist das Schlachthaus goldgefliest. Eine halbe Sau hängt dekorativ am Kristall-Luster und ist als aussagekräftiges Symbol gar nicht misszuverstehen: Wir haben es mit Politikern zu tun, die halbe Schweine sind. Mindestens.

Von Reinhard Kriechbaum

In Wien spielt Shakespeares wenig gespielte Komödie „Maß für Maß“. Die Sitten dort sind nicht die besten, aber Herzog Vincentio möchte sich nicht selbst anpatzen mit dem Wiederherstellen der öffentlichen Ordnung. Er geht einfach auf Urlaub und setzt Angelo als Platzhalter ein. In ihm glaubt er den rechten Mann für die Moral-Putzaktion gefunden zu haben. Angelo steckt er in einem adrett-billigen Anzug und hat immer ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen, wie es Populisten so gerne aufsetzen. Sofort greift er zum Schlauch und spritzt nicht nur von den Wänden allen Dreck herunter, der sich so angesammelt hat. Auch Claudio bekommt eine Volldusche ab: Er hat ein Nutte geschwängert, und dafür soll er hingerichtet werden. Die Schwester des Delinquenten, eine Nonne knapp vor der ewigen Profess, versucht den selbstgefälligen und sich seiner Mission gewissen Angelo zur Gnade zu überreden. Angelo strebt einen Handel an – ein Liebesabenteuer mit der jungen Nonne gegen das Leben ihres Bruders …

Shakespeare erzählt eine Geschichte von Verführbarkeit durch Macht, von der Anfälligkeit gegenüber Korruption. Ein zeitloses Thema, nicht kaputt zu kriegen, weder durch Modernismen noch durch Historizismen. Beides durchzieht die Inszenierung von Thomas Ostermeier, und die Sache wirkt deswegen durchwachsen: Schweinernes mit Flachsen.

Im Saubermann Angelo (Lars Eidinger) und im urlaubenden Herzog (Gert Voss), der als biederer Klosterbruder verkleidet ist und sich die Sache incognito ansieht, stehen charakteristische Typen für die tendenziell komödiantische Polit-Parabel zur Verfügung. Ostermeiers Inszenierung (eine Koproduktion mit der Berliner Schaubühne) setzt auf simple, einsichtige Bilder. Die Protagonisten sind meistens alle auf der Bühne, vereinigen sich zum Madrigalgesang, der die gestrichenen Szenen mit den einfacheren Volkstypen ersetzt. Das Ergebnis ist ein bündiger, ohne Pause durchgespielter Theaterabend.

Der Text: ein ganz eigenartiges Pendeln zwischen Sätzen aus der klassischen Übersetzung von Christoph Martin Wieland und einer etwas aufdringlichen Verheutigung durch Marius von Mayenburg. Da dürfen also schon Formulierungen und Schlagwörter heutiger Zeitungsschreibe hinein. Es soll ja jeder verstehen. Man kann nicht behaupten, dass diese Shakespeare-Umsetzung unserer Zeit fern stünde.

Deftig wird gespielt, gestenreich, offensiv. Die feine Klinge ist dieser Inszenierung und vor allem dieser Schauspieler Sache nicht. Sie agieren so handfest wie Ostermeier die beiden Symbole Schwein und Schlauchdusche einsetzt: Wer sich saumäßig benimmt oder moralisch schwankt, muss jederzeit mit einem scharfen Wasserstrahl rechnen und agiert nahe dem Schweinefleisch.

Gert Voss: Hier ist er Star, hier darf er’s sein. Er zieht alle Register, wenn er mit verstellter hoher Stimme den Klosterbruder mimt und seine Intrigen spinnt, um den ihn so enttäuschenden Angelo bloß zu stellen. Der schlaksige Bernardo Arias Porras als Delinquent Claudio schrammt nicht immer an der Karikatur vorbei, auch Stefan Stern als Lucio (er steht sozusagen für die Vox populi) nicht. Ob es der Sache wirklich dienlich ist, die eigentlich komödiantischen Figuren und ihre Szenen zu streichen und dafür die Komik den ernsthaften Protagonisten überzustülpen?

Eine ist ganz ernsthaft bei der Sache: Jenny König als Isabella. Sie muss für Tugend stehen, als Zukunftshoffnung der Nonnenzunft ist sie die Sittsamkeit in allegorischer Überhöhung, sogar wenn Angelo sich über sie handgreiflich hermacht. Wenn Isabella ultrakurz doch ins Wanken kommt: eine kalte Dusche auch für die Nonne, aber gleich ist sie selbst am Schlauch und wässert Angelo ordentlich ein. Wasserscheu sind die Schauspieler alle nicht.

Weitere Aufführungen am 19., 21., 22., 25. 27. und 28. August. – Premiere an der Berliner Schaubühne am 17. September.
Bilder: SFS / Arno Declair

 

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