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Kleine Schwester statt Big Brother

FESTSPIELE / YDP / A GAME OF YOU

19/08/11 Die junge Schauspielerin, die gegen Ende der Performance kurz in meine Rolle schlüpft und sich einem verdutzten anderen Theatergast als „Reinhard“ vorstellt, hat mich eigentlich ganz gut getroffen: ein wenig steif sitzt mein Alter ego (heute sagt man dazu: Avatar) da, ein Einsilbling sondergleichen. Eh wahr: Ich bin einer, der das Herz nicht auf der Zunge trägt, sondern es lieber mit der Schreibfeder aufspießt.

Von Reinhard Kriechbaum

In der Mitmach-Theaterreihe beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele ist diesmal Selbsterfahrung angesagt. In festspielmäßig exklusivster Form, als Face-to-Face-Aktion. Alle fünf Minuten darf eine oder einer rein in den Kubus aus ganz dicken Vorhängen. Was Trost spendet und beim Warten das Gefühl von Zahnarzt-Wartezimmer doch ein wenig mindert: Es kommt auch alle fünf Minuten wieder jemand raus – und schaut gar nicht unglücklich drein. So arg wie zwei Tage vorher bei „Signa“ wird es in den Klauen des belgischen Theaterkollektivs "Ontroerend Goed" also nicht sein.

Eine kleine Koje zuerst, Sessel vor einem Riesenspiegel. Man vermutet gleich ein Einweg-Fenster (und täuscht sich nicht, am Ende, als letzte Station, wird man auf der gegenüberliegenden Seite Platz nehmen dürfen). Eine Dame kommt daher und quasselt viel über sich und ihre Befindlichkeit. Dann wird man weiter gereicht. Big Brother ist tätig, eh klar, hat mich sogar gefilmt in Koje eins. Jetzt ist eine nette junge Schauspielerin für mich zuständig. Small Sister ist neugierig. Ob ich mit meinem Äußeren zufrieden bin? Passt schon. Ob ich so wirke, wie ich es mir vorstelle? Ja, doch. Ob ich oft in den Spiegel schaue? Nö, bin nicht eitel, aber beim Rasieren schon. Eine Dame wird mir gezeigt. Ob ich glaube, dass sie glücklich ist? Wie sie wohl wohnt? Ob sie einen Partner hat? Ob sie ihm treu ist? Ich gebe mein Bestes bei der Einschätzung der sympathischen Blondine, die vor mir ins Theater-Hamsterrad eingestiegen ist.

Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass das Fernsehen mit seinen Shows aus dem Container effizienter arbeitet. Die Belgier des Kollektivs "Ontroerend Goed" machen es aber leiser, unaufdringlicher, subtiler. Bloßgestellt wird man gewiss nicht, nicht mal vor sich selbst blamiert man sich. Die lieben Leute von "Ontroerend Goed" haben messerscharf erkannt: Nicht allen Menschen stehen all ihre Geheimnisse ins Gesicht geschrieben. Taxiert man nach dem Äußeren, kann man in die Irre gehen. Spiegelbild nachspielen bringt’s auch nicht. Das führen sie in dieser Versuchsanordnung gediegen vor.

Angeblich waren frühere Produktionen, mit denen sie weltweit gastierten, Kult. Vor allem pubertierende Jugendliche sollen sich in Produktionen wie „Once and for All“ oder „Teenage Riot“ gut wiedererkannt haben, und auch Theaterkritiker sollen davon angetan gewesen sein. „One-on-One“-Theater wie jetzt in Salzburg hat die Truppe aus Gent schon zwei Mal gemacht („Smile Off Your Face“ und „Internal“). „A Game of You“ sei Abschluss der Trilogie, heißt es. Für sich genommen ist es ein sehr biederes Erlebnis. Wenig Aufwand, aber auch wenig Effekt.

Mit einer frisch gebrannten CD kehrt man heim. Neugierig in Erwartung meiner selbst schiebe ich sie augenblicklich in den PC ein. Überraschung: Es ist eine Ton-Aufnahme. Die Besucherin nach mir hat mich vorgeführt bekommen und taxiert nun mich. Dass ich verheiratet bin, traut sie mir nicht zu, Kinder auch nicht (beides daneben). Dafür schreibt sie mir, dem erklärten Hunde-Hasser, einen Golden Retriever zu. Musiker könnte ich sein, denkt sie (endlich richtig!), Jazz-Drummer vielleicht (falsch). Sympathie- und Freundschaftswerte hoch. Beziehung denkbar? Nein (aber nach längerem Zögern wenigstens). Felix könnte ich heißen, argwöhnt sie: Vielleicht muss ich an meiner Außenwirkung doch noch ein wenig basteln.

Aufführungen bis 25. August in der Großen Aula.
Bilder: SFS / Elies van Renterghem

 

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