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Ich bin ein Bewohner des Neunten Landes

FESTSPIELE / REIHE „JENSEITS DER GRENZE“

21/08/11 Gespräche, Filme und Vorträge zu Peter Handke prägten die vergangene Woche auf der Edmundsburg. Mit einer Lesung von Gert Voss aus Handkes Slowenien-Bericht „Die Wiederholung“ im Landestheater fand die Reihe „Jenseits der Grenze“ ihren Abschluss.

Von Harald Gschwandtner

altBurgschauspieler und Handkes Texte - das hatte schon beim diesjährigen Literaturfest mit Dörte Lyssewski und „Die linkshändige Frau“ gut gepasst. Diesmal brauchte es ein wenig Zeit, bis Gert Voss ins Lesen kam – doch zeichnet das nicht ebenso alle Handke’schen Erzähler aus? Auch diese benötigen oft Anläufe, um in Gang zu kommen, ‚ihren Gang‘ zu bekommen, wie ein Spaziergänger. Und schnell fand Voss dann hinein in den Rhythmus dieser Prosa, freilich ohne den eigenen zu verlieren.

Auf den Spuren seines Bruders bricht Filip Kobal Anfang der 60er Jahre nach Slowenien auf. Das Buch des Bruders über Obstbaumkunde im Seesack, wählt der Maturant nicht den Weg seiner Mitschüler ans Mittelmeer, sondern macht sich auf die Suche nach einem Ursprung, den der Vater zu verleugnen trachtet, und der für die Mutter als Zugereiste „ein Land“ ist, „das nichts gemein hatte mit dem tatsächlichen Gebiet von Slowenien, sondern gebildet wurde rein aus Namen“. Dazu der verschollene Bruder als Partisanenkämpfer, oder doch (bloß?) als stummer und frommer Widerständischer.

Mit dem Abschied von der wenig geliebten Heimat (die Stadt Bleiburg als telling name), dem Dorf und der kranken Mutter, eröffnet sich ihm jenseits der Karawanken „ein anderes Raummaß“ und „ein anderes Zeitmaß“, entwickelt er jenes ‚Schauen‘, das für Handkes Erzähler so typisch ist. „Das vormorgendliche, auf den ersten Blick so unwirtliche Industriegelände hier in Jugoslawien, von unsichtbaren Händen wie für alle Zukunft in Gang gehalten“, bietet ihm „einen ganz anderen Eindruck von Arbeitern, ja überhaupt von Menschen, als ich ihn vom eigenen Land bisher gewohnt war?“

Abseits der „Gamsbärte“, der „Hirschhornknöpfe“, der „Lodenanzüge“, ja abseits „überhaupt jede[r] Tracht“ mischt sich hier die Feier der Einfachheit mit einer Vorstellung von Weltbürgertum – „ein vielfältiges und zugleich einhelliges Treiben, wie ich es später, nach dem kleinen Ort Jesenice, nur in den Weltstädten erlebte“. Die Belgrader Flanierszene, mitten im Krieg, aus der umstrittenen „Winterlichen Reise“ scheint hier ein Stück weit vorweggenommen.

Filip Kobal erlebt in der Folge im Karst, auf seinen Wanderungen und in den Wirtshäusern, eine Art unprätentiöse Gastlichkeit, die eben nichts zu tun hat mit der eingeübten, vorgeschützten Liebenswürdigkeit eines Tourismuslandes. Das Bild des jugendlichen Kellners, dessen „Schönheit der Erscheinung“ weniger „von seiner Gestalt als von einem stetigen Aufmerksamsein, einer freundlichen Wachsamkeit“ herrührt, wird ihm zum Inbegriff der freundlichen Hinwendung zum Fremden wie zum unscheinbaren Detail: „Einmal stand er am Vorabend in dem kahlen, leeren Raum, reglos vor sich hinblickend, schritt dann zu einer entfernten Nische und vollführte an der Karaffe dort eine kleine zärtliche Wendung, welche das ganze Haus erfüllte mit Gastlichkeit.“

Die Reise hat Handkes Protagonisten schließlich gewandelt. Auf der Fährtensuche im legendarischen wie realen ‚Neunten Land‘ von der Heimat entwöhnt, beginnt er sie neu zu schauen: Die Hausdächer werden zu „Pagoden“, die Begrüßung des Wegmachers erinnert ihn an „den rituellen Klang der Ermahnung eines Muezzin“: Nachbilder des Fremdländischen, die nun auch diesseits der Grenze weiterwirken.

Voss brachte den Text in einer Weise zum Vortrag, stellte dem Erzähler auf so überzeugende Art einen Sprecher zur Seite, dass das Landestheater zu einer Stille fand, die manches Festspielkonzert neidisch machen könnte. Selbst Wetzer und Huster warteten gespannt auf die kurzen Pausen zwischen den drei Teilen der Lesung. Am Ende das Gefühl, als wäre alles gesagt, der begleitende Reigen zu „Immer noch Sturm“ mit einem großen, stillen Fest geschlossen.

Bild: www.gert-voss.at



 

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