asdf
 

Irritierende Untertöne

FESTSPIELE / HAGEN QUARTETT

24/08/11 Wenn jede Phrase, nein jede Note hinterfragt wird, keine noch so geläufige musikalische Formulierung belanglos erscheint, wenn jeder der Musizierenden genau weiß, warum er was wie spielt und trotzdem aus der Musik kein Kopfprodukt entsteht, sondern intensiv gelebte Emotion – dann kann man davon ausgehen, dass das Hagen-Quartett auf dem Podium sitzt.

Von Christiane Keckeis

Und wenn die Hagens Schubert spielen, dann erscheint der Meister nicht im idyllischen Biedermeierrock mit kandierten Veilchen, sondern legt die menschliche Seele bloß. 1824 schreibt Schubert an den Freund Kuppelwieser:

„Ich fühle mich als den unglücklichsten, elendsten Menschen auf der Welt. Denke Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht; denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichte geworden sind … und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist?“

In dieser Zeit schrieb er u.a. das „Rosamunde“-Quartett a-Moll und das Streichquartett d-Moll „Der Tod und das Mädchen“. Das Hagen-Quartett geht in die musikalische Tiefe, ohne falsches Sentiment und mit dem Verzicht auf jegliche Manieriertheit. Schon der pianissimo-Anfang des Rosamunde-Quartetts berührt in seiner ernsten Schlichtheit, in den behutsamen Linienführungen, die als Innenschau  in exzessiven Ausbrüchen münden. Und welche Ausbrüche – bis an die Schmerzgrenze, in nichts nachgebend, scharf, mit einer Gradheit des Tons, die fast wehtut. Das Fortissimo des Andantes gerät mit fast sägenden Bogen zur zerstörerischen Kraft, die Harmonien schneiden ins Fleisch. Auch das vordergründig ländlerisch daherkommende Menuett wird zum makaber-düsteren Bild in allen Farben des Drohend-Unheimlichen, die die Musiker intensiv einzusetzen wissen. Die federnde Leichtigkeit des letzten Satzes bricht, setzt wieder an, reicht nicht aus, um wirklich froh zu enden: zu viele irritierende Untertöne, die das Hagen-Quartett nicht zugunsten der Konsumierbarkeit negiert, sondern im Gegenteil hörbar macht.

„Der Tod und das Mädchen“ – das kennt der Kammermusikfreund. Und doch taucht immer wieder Erstaunen auf: ist das wirklich Schubert? Hat er das so geschrieben? Das kennt man so gar nicht? Die vier Musiker decken auf, machen hörbar, was im Notentext steht, und das ohnehin schon ergreifende Werk ergreift noch ein wenig mehr, wird ganz dicht und fordert die ganze Aufmerksamkeit – von Kopf und Gefühl. Der Trauermarsch des Andantes berührt – nicht weil er mit so unglaublich trauriger Attitüde gespielt wird, aber weil die nahezu vibratolose Intensität im Piano von solcher emotionaler Kraft ist. Und wenn Lukas Hagen dann wie Federn das Solo der ersten Geige über den unruhigen Herzschlag der anderen drei setzt, ist das schon zum Sterben schön.

Schubert letztes Streichquartett G-Dur ist eines der außergewöhnlichsten Vertreter seiner Gattung. Das Spiel von Dur und Moll durchzieht alle Sätze. Mehr als bei anderen späten Kammer- und Klaviermusikwerken Schuberts findet man auch sinfonische Charakteristika, dramatische, in die Opern verweisende Szenen entstehen vor dem inneren Auge. Delikate Soli – wunderbar musiziert, Dialoge voller Zärtlichkeit – doch auch sie enden in herbem Schluss. Das Trio erscheint wie eine längst vergessene Erinnerung, der Clemens Hagen im Cello-Solo mit sensibler Verhaltenheit nachspürt, bevor im jagenden letzten Satz Unruhe, schwankende Ängste, Panikattacken wieder Überhand gewinnen Wunderbar das Miteinander der vier Streicher: der unglaublich aufmerksame Rainer Schmidt, der sich mit farbenreichem Ton als zweite Violine in das Ganze fügt, Veronika Hagen, die so lebendige, akzentsetzende Bratscherin, Lukas Hagen, der  ebenso kraftvoll wie sensibel führte, und schließlich Clemens Hagen, der deutlich machte, was ein bewusst und farbig gestaltender Cellist in einem Quartett wirken kann.

Das Publikum dankte mit Bravi – verließ aber ob der weder den Künstlern noch den Zuhörern kaum zumutbaren Hitze fluchtartig den Saal. Das einzige, was dem Abend fehlte, war eindeutig – die Klimaanlage.

Bild: SFS/ Wolfgang Lienbacher

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014