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Kerosin und Noten

FESTSPIELE / CHICAGO SYMPHONY ORCHESTRA / MUTI

28/08/11 Lautstärke ist freilich eine Lösung, für Richard Strauss wie für Paul Hindemith und für manch andere Musik auch. Die beste vielleicht nicht, aber immerhin ein Weg, um sich respektablen Beifall zu sichern.

Von Reinhard Kriechbaum

Musik, die so laut ist, kann gar nicht schlecht sein, und ihre Wiedergabe schon gar nicht. So haben offensichtlich viele Zuhörer gedacht am Freitagabend (26.8.), als ihnen „Danza Petrificada“ um die Ohren geballert wurde: eine Komposition, die ein gewisser Bernard Rands (ein 1934 geborener Engländer) im Vorjahr für seinen Freund Riccardo Muti und das Chicago Symphony Orchestra geschrieben hat. Wie die Werkeinführung verrät, ist es eine Gedenkmusik zum 200-Jahre-Jubiläum der Unabhängigkeit Mexicos. Rumba-Kugeln und dergleichen Schlagwerk verorten das plakative Musik-Scheusal tatsächlich einigermaßen in Lateinamerika. Sonst denkt man aber bei der Wucht eher an ein tektonisches Ur-Ereignis, vielleicht an Kontinentalverschiebung. Das ist in der Region ja auch nicht so weit daneben. Mag sein, dass das Stück ein wenig gewinnen würde, wenn die Blechbläser nicht andauernd die Streicher vor sich her peitschten.

Die Brass Band ist eine toll trainierte Truppe im Chicago Symphony Orchestra: Wenn die loslegt, sind die anderen aus dem Schneider, weil sie ohnedies fast nicht mehr hört. So zum Beispiel in Paul Hindemiths „Symphony in Es“. Ob Hindemith mit diesem neoklassizistischen Werk Bruckner kreativ paraphrasiert oder sich im Grunde über ihn lustig gemacht hat, konnte man anhand dieser gelegentlich malmenden, aber dann auch wieder in der Spannung arg durchhängenden Wiedergabe nicht recht ausmachen. Jedenfalls bauschte sich das Blech immer wieder mächtig auf, und wenn man etwas genauer hinhörte, dann konnte man nachfühlen, mit welch tiefer Abneigung ein jeder der Musiker die andauernde melodisch sperrige Käferkrabbelei mitmachte.

Schon am Vorabend, in Richard Strauss‘ „Tod und Verklärung“, war man ins Sinnieren gekommen ob der Orchesterqualität. So viel Unpünktlichkeit im Detail. So wenig Timbre in den Streichern. Mag sein, dass die Musiker noch Jetlag hatten. Ehrlicherweise muss man sagen, dass manches deutsche Provinzorchester, das im Lauf des Jahres in den Kulturvereinigungskonzerten gastiert, deutlich mehr Charisma anzubieten hat. Es gibt jedenfalls keinen Grund, das Chicago Symphony Orchestra über den Atlantik zu fliegen: Kerosinverbrauch und künstlerischer Ertrag stehen in keinem vernünftigen Verhältnis, der ökologische Fußabdruck ist zu tief.

Am ersten Abend hörte man Schostakowitsch Fünfte Symphonie, und am zweiten einen Querschnitt durch die „Romeo und Julia“-Ballettsuiten von Sergej Prokofjew. Der aggressive Ton, wie er bei Schostakowitsch angebracht wäre, ist Mutis Sache nicht. In seiner eher lyrisch singenden Variante hat das Werk aber auch Überzeugungskraft: eine „entpolitisierte“ Lesart eines Stücks, das eigentlich den sozialistischen Realismus ironisch bricht.

Gar nicht knallig am zweiten Abend „Romeo und Julia“: Auch da sind Muti die lyrischen Dinge entschieden näher, wogegen das Orchester in Knallern wie „Tybalts Tod“ eher im Freistil losgezogen ist.

Bild: SFS / Wolfgang Lienbacher    

 

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