asdf
 

Nacht- und Taghelle

FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / RATTLE

30/08/11 Mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle ist der Konzertreigen dieser Festspiele zu Ende gegangen: Es war in seiner Summe wohl das schlüssigste und konsequenteste, aber auch das sinnlich verführerischste Konzertprogramm, das Markus Hinterhäuser je erdacht hat.

Von Heidemarie Klabacher
und Reinhard Kriechbaum

Am konzertanten Finalabend gleich noch ein Apercu zu den Mahler-Szenen: Benjamin Britten hat seinen Liederzyklus „Nocturne“ (1958) der damals achtzigjährigen Alma Mahler gewidmet. Eine durchaus überraschende Reminiszenz an den Meister des Orchesterliedes!

Im zweiten Konzert der Berliner Philharmoniker am Montag (29.8.) sang Ian Bostridge diese  textlich wie musikalisch ergiebigen  Nachtstücke. Vom Albtraum bis zur Idylle reicht dieses durch Musik zusammengebundene Konglomerat von Nacht-Pretiosen englischer Dichter.

Der Reiz dieser „Liedersymphonie“ von Britten: In jedem Gesang nimmt ein anderes Soloinstrument den Dialog auf mit der Singstimme und den Streichern. Das kann das bizarr melodisch springende Fagott sein, die sanft schmeichelnde Harfe, aber auch die beinah tobende Pauke, die eine Passage der Schlaflosigkeit und furchteinflößender Erinnerung illustriert.

Als ob die Bögen die Saiten gar nicht berührten, ließ Sir Simon Rattle „The Poet’s Dream“, die programmatische Eröffnung auf einen Text von Percy Bysshe Shelley, gleichsam herbeihauchen: ein Musikbild von Poesie-Geschöpfen, die „wirklicher sind als lebendige Menschen“. Ian Bostridge ist ein Sing-Erzähler von Rang, der in exponiertesten Sprüngen nichts an Timbre, vor allem aber auch die Intonationsgenauigkeit nicht einbüßt. An dieser Stelle gilt es auch zu resümieren: Seit vielen, vielen Jahren ist bei den Salzburger Festspielen nicht auf so ebenmäßig hohem Niveau gesungen worden. Die Opernbesetzungen waren heuer fast ausnahmslos echte „Ensembles“ und nicht Summen von Sängern, wie sie die Agenturen zuliefern. Und dasselbe gilt für die Konzerte.

Der erste Abend der Berliner Philharmoniker (Sonntag, 28.8.) hatte Mahlers siebenter Symphonie gegolten, von der leider vor allem eines zu berichten ist: Laut war es. Schon auch eindrucksvoll. Spitzenorchester bleibt Spitzenorchester. Aber Sir Simon Rattle hat diesmal auf den bloßen - sprechen wir es ruhig aus: auf den billigen - Effekt gesetzt. Kirchen- und Kuhglocken. Blech und Metall. Getöse und Geklingel. Gut gemacht alles. Selbstverständlich. Jeder einzelne Bläsereinsatz (nicht nur der Posaunen) hätte die Mauern Jerichos zum Einsturz gebracht. Dazwischen aber das große Nichts: Den beiden vielschichtigen, nur an der Oberfläche „idyllischen“ Nachtmusiken etwa wurde alles Beängstigende, Abgründige gründlich ausgetrieben zu Gunsten gemütlichen Schönklangs. Es wurde - nicht nur vom grandiosen Paukisten - auf die Pauke gehauen.

Damit war zum Glück das letzte Wort nicht gesprochen. Denn ausgeklungen ist die Festspiel-Konzertsaison mit dem zweiten Konzert der Berliner Philharmoniker mit Bruckners „Neunter“. Sir Simon Rattle hat vor allem das Visionär-Moderne der Partitur ausleuchten wollte. Kein Bruckner der langen Bögen und großräumigen Entwicklungen, sondern ein Splitting gleichsam in erhellende Momentaufnahmen. Wenn sich Simon Rattle ans Abspecken macht, bleibt nichts, hinter dem man sich als Instrumentalist verstecken könnte: Da wirkte der Einsatz der Tuben im Adagio so radikal nüchtern und entschlackt, dass die Sache beinah intonationsmäßig ins Schlingern geriet. Wärme und Innigkeit sind für Rattle nur ein Parameter im Wechselspiel der Kräfte – und nicht der wichtigste.

Bilder: SFS / Wolfgang Lienbacher

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014